Marburg
im
Gebrüder Grimm Jahr
2009
zum 150. Ketzerbachfest
|
|
|
|
|
|
Lesung am :
Samstag, 27. Juni 2009, 16.00 Uhr
Spiegel-Bild Galerie Niederwalgern. Am Bahnhof.
Freitag 3.Juli 20.00 Uhr Spiegelslustturm Marburg
Lesung von Friedrich G. Paff Gespräch und Diskussion
Grimmige Grimm'sche Briefe. Einblick in Forschung und Herausgabe. Märchen, Gedichte und Erfahrungen aus einer Stadt, die nur das Ubelohde - Idyll einer Märchenstadt hat. Von einem der auszog, Kultur in dieser Stadt kennenzulernen....
|
|
Auswahl
Der Mond hing an einem gläsernen Faden
über der Stadt lag Nebel
Raben schwirrten auf Dächern umher
von Stufe zu Stufe fielen die Treppen ins Nichts
* * *
Durch die engen Gassen zog der Wolf mit der Schafspfote voran Literatur auf der Lippe weiß ganz im Gesicht
soviel Kreide gefressen
* * *
Im Schwarzen Walfisch tummeln sich Haie
die Brandung verrinnt
Abendrot spiegelt Leere
die Mausefalle klappt zu
* * *
Die Prinzen Dämonen in der Schwarzen Stunde der Germanistik häuten sie sich zu Schlangen, Vipern und Echsen
* * *
Das verlorene Herz es flackert vom Berg
bordellrot glüht es in die Nacht
flammt auf im Spiegel toter Raben
* * * Plötzlich wird alles Ethnologie
der ferne Blick ertrinkt
im Brunnen der Nähe
* * *
Der Eisenhans der alles überzog mit jener Masse die Kultur erstickte zäh in Tran und Fett in Gummi, Lack in Folie Pech in einer Haut die nur maskiert und ohne Pore ohne Leben atemlos
* * *
Auf dem Markt tanzen die Fische sich taub
alles gafft auf den Seiltanz einer Karriere
sie werfen die Augen hinweg
uferlos werden sie
Strömung nur des Sogs
* * *
daß da nichts mehr gruselt ist die Angst die nicht mehr spürt ist die Blindheit die nicht sieht ist die Lähmung die ganz taub ist die Rettung die nur Schein
* * *
Dir Ratten verlassen das sinkende Schiff
die Mäzene kommen
* * *
Der Kaiser ist nackt
die Demokratie ohne Maßstab die Kultur ohne Kriterien die Wissenschaft ohne Belang die Verlage ohne Richtung
die Lust ohne Nähe
nur die Märchen noch flechten das Gold
aus Ferne ganz die Nähe
* * * Märchen müssen nicht gerettet werden
sie retten uns
* * *
Dein Rattenhaar
es glänzt die Narbe im Gesicht
aus Henkersstrick flecht dir dein Glück
durch Gassen zieh durch Gossen und Gesänge
taub dem Gegröle sing deinen Text
schöpf aus dem Nichts dir das Wort
das Abseits dein Ort
in die Krallen hinein schärft sich die Sicht
dein Herz eine flammende Fackel
Rattenkönig
in deiner Krone aus Stroh brennen die Raben
* * *
Was eingegrenzt zu sehr in Enge grenzt aus sich uferlos und stark
in der Provinz tingelt alles am Ende um das eine Stück Nabel
das längst schon verloren in 30 Silberlingen ist
* * *
Es hat dich tief verletzt ins Herz geritzt Seele betäubt zieh aus den Wunden das Messer blutlos und tanz auf seiner Schneide spiegelt sich die Sonne unbefangen hell klar und ganz
* * * Sprich nicht ein Wort zu denen die das Dunkel gebracht in Körben holen sie Licht und schütten es in die Blendung
* * *
Die alles satt haben sind sich satt
am Ende satt und matt
das Märchen hungert grimmig stets
nach Salz und Honig Feuer, Brot und Wein
sein Atem stets ist Durst nach Leben
* * *
Atme in all den Masken
in der Erstickung noch atmet
was du bist ganz getrennt von dir
* * *
Frag den Wolf hast du das Du
frag die Eule den Habicht, die Fledermaus
die Stecknadel und das Zündholz
frag all die Tiere, Sachen und Pflanzen
Steine und Namen
frag das Feuer den Wind
das Meer und die Küsten
wohin ist das Du so fern und geschwind
* * *
Du hast verloren das Du
kein Knopf näht sich mehr an
du hast verloren den Faden
die Nadel nur sticht sich
eisig in dich * * *
Das wir, wir, wir und das ihr, ihr, ihr das er und das sie das verlorene du das alles ich und nur ich es noch dazu verbrenn all die Silben alphabetisiere die Nacht decke zu die Asche und rette den Anfang das A
* * *
Im Gesang der Raben dieser unerträgliche Schrei der nur krächzt kratzt an der Stille heiser, erstickend und frei
die Nacht trägt ihre Einsamkeit auf schwarzen Flügeln in die kahlen Spitzen toter Äste, Felsen
* * *
Sie alle suchen sich zu finden du findest im Verlieren dich
* * *
Kultur in einer Stadt es ist „ein weites Feld“
und es wird keine Schlammschlacht daraus
der Sumpf trocknet nicht aus
das Gegenwort ist besiegt
keine Gegenströmungen mehr
und es atmet im Fels kein Dennoch mehr
unterirdisch sprudeln die Quellen
überirdisch Kanäle nur künstliche Wasserläufe
alles gießt sich in Schläuche hinein
der Wasserträger mit hohler Hand
fängt er den Regen auf
* * * Wir tanzen in magischen Schuhen auf Dächern die nie wir gekannt Elisabeth verliert ihren Schuh am Ende des Tunnels sie graben ihn aus nun zwischen den Knochen am Kreuz einer Pforte steckt er im Sand oben die Heiligen in den spitzen Giebeln des Turms vom Wind verweht ihr Gesicht ausgelöscht längst unbekannt ihre Namen fällt ihr Gewand noch immer würdig und schlicht in die Tiefe hinab unten ist Stadt tobt Gewimmel und Markt das Geschrei der Kinder hinweg die Klinik verpflanzt orientalische Gebetsteppiche liegen nun dort
wir tanzen in magischen Schuhen durch die Märchen von Brentano und Grimm
weggeätzt der alte Weißdorn glättet sich nun um die Kirche herum ein steinernes Feld nichts saugt die Erde mehr auf weder Regen noch Blut hinweggeschnitten das Gras blutlos ist alles geworden taub und stumm
wir tanzen in magischen Schuhen ein Wort von Luise Kaschnitz geklaut :
„ Hat nicht einer gefragt, wie es sei, Wie die Stadt klingt im Geheimen. ... Aber die Stadt ist ein Tanz, Und der Tänzer sind viele, Alle verschworen dem Spiele. ... Können sie doch nicht ruhen, Tanzen in magischen Schuhen „
* * *
Das bucklig Männlein
Das bucklig Männlein gehört zu dieser Stadt
es kommt immer einhergeschritten und macht alles kaputt
atmet Poesie stopft es das Maul
wagt einer Anfang macht es schon Schluß
sagte einer : Schau genau hin ! kreischt es : Halt’s Maul !
versucht einer aufrecht zu sein knickt es die Beine schon ein
das bucklige Männlein gehört zu dieser Stadt
sagt einer : Das ist unwahr ! schneidet die Zunge es ab
lispelt einer eitel wie nie stopft es mit Orden das Maul
grapscht einer Geld lobt es : So ist die Welt !
macht einer den andern kaputt hüpft es und singt
wird alles zur Schau, luftige Hülle nur frohlockt es und tanzt
verliert einer den Atem reibt es die Hände sich dann
verteufelt einer den andern intrigiert, diffamiert jauchzt es und lacht
wird einer ins Abseits gestellt weil er sich an Regeln noch hält
kratzt es und giert schnalzt mit der Zunge voll Wonne
das bucklige Männlein gehört zu dieser Stadt
bekommt niemand was mit was hinter Kulissen passiert summt es und grinst
ist alles gezinkt, zum Popanz drapiert
jedem egal was hier passiert
nichts steht in der Zeitung drin
dann leuchten seine Augen hüpft es die Treppen auf und ab
streichelt das Fachwerk liebkost den faulenden Lehm
das bucklige Männlein gehört zu dieser Stadt
Bet für das bucklig Männlein mit !
* * *
Eine Stadt die sich so in der Kultur sonnt
hat ihre Schatten verloren
* * *
Wenn sie lange hier leben
spiegeln sie nur noch sich selbst
* * *
Wer in keiner Partei in keinem Verein
hat das Märchen „Schwan kleb an !“
nicht verstanden.
* * *
In engen Gassen erhebt sich der Geist um so größer
um den Verwinkelungen zu entkommen
bläht er sich auf.
* * *
Alles sonnt sich in fremden Namen hier
Märchen die die eigene Winzigkeit
verzaubern
* * *
Eine Märchenstadt die zuviel Riesen hat
am Ende ist hier
jeder Zwerg ein kolossaler Berg
* * *
Leer steht der Kerner das Echolot verfing sich darin
second hand kann man Grabsteine kaufen
zu Lebzeiten schon
* * *
Wir vernetzen uns sagen die Spinnen
und ziehen ihr Gift durch die Kabel
* * *
Wenn wir tilgen sagen die Termiten
brauchen wir keine Zensur
was nicht da ist wird nicht wahrgenommen
was nicht wahrgenommen wird ist nicht da
* * *
Eine Stadt die leuchtete in der Ferne im fernen Russenland
eine Stadt die solches Leuchten nicht ertrug
schnell kickte sie die Slawistik
nach Gießen hinüber
* * *
Die fremden Zungen die in dieser Stadt Sonne warfen in die engen Schatten sie gaben Licht
und ließen nichts zurück
* * * Mit der einen Hand fing er den goldenen Apfel
mit der anderen warf er ihn in die Pfütze hinab
* * *
Wer hat die Pfeifensammlung Hemingways
wer ist durch die Fresken geschritten
die Glocken geläutet zu Mittag
wer hat am See die Kultur in Glühwein erstickt
wer hat das Wort gewendet
zur billigen Galeerenfigur
* * * IA IA schreit der Esel
wir haben keinen Begriff von IA
IA IA schreien die Esel
und überblöken das Zirpen der Grillen
* * *
Tischlein deck dich alles muß versteckt sein
Orden schnell her, Utopien große Namen, Begriffe
nur Historiker erzählen Märchen noch
vom Widerstand der keiner war
* * *
Sternentaler wartet noch immer
sie wird zugeschüttet mit künstlichem Glitzer
Elisabethromanen
doch kein Stern fängt sich darin
* * *
Ubbelohde malt die Märchen wie Träume
eine hessische Nacht wild ergrimmt
wartet auf einen Morgen der nie kommt
* * * Es spiegelt die Lust sich im Turm
Rapunzel fällt auf das Dach
ihr Haar weht zum Himmel empor
die Sterne baumeln an ihm
niemand knüpft ihr
den Zopf mehr auf oder zu
keiner klettert mehr
am fädrigem Haar in die Höhe zu ihr
* * *
Alles hat sich überzogen mit Eisen
das nicht einmal rostet alles bleibt nur steril
Eisenhans kämmt sich sein Haar
mit aalglatter Bürste
Läuse fallen heraus Märchen, Gedichte
* * *
Das Gruseln lernt heute keiner mehr aus den Märchen
in den Zeitungen steht es täglich
lesbar nur den Stummen
* * *
Simsalabim
Poesie rappt sich in das Gezische der Schlangen
das Gift das sie spuckt tötet nicht mehr
ist nur noch Gespauze
* * *
Abrakadabra das Wort findet sich nicht mehr das uns rückführt in die Sprache aus der wir kommen die grimmig erforscht nur noch bellt oder beißt aber nicht mehr faßt und erschafft
* * *
Wen dürstet noch nach Honig und Salz
wer spürt noch den Hunger nach Stille
wir stopfen mit Sattheit Kopf uns und Kragen
verzagen
das Unbetretene nur zu wagen
* * * Der Märchenpfad führt durch die Seele ganz
Herzen knüpft er und Blicke
Blicke für das Unscheinbare das abseitig Nichtbeachtete
aus dem Dunkel hervor holt er die Schatten
rächt das Zukurzgekommene
und beschenkt uns mit keinerlei Gold und Gaben
aber mit neuen Augen blicken wir auf
graben uns in die Nacht die ungesättigt
unter dem Konsum noch wacht
* * * Drosselbart
als er den Krug zerschlug war es noch nicht genug
erst als er bekam Hartz IV wurde sie zum Tier
solchen Bettler zum Mann immer zu Hause sodann
nur noch Video und Glotze zum Heulen und Kotzen
solche Rotze
* * *
Der Kaiser macht FKK
und ist doch nicht nackt
Macht bleibt unsichtbar
Titel allein bestimmen die Sicht
* * * Wir haben keine Märchen mehr
die Märchen sind aus
wir betreuen die Kinder rund um die Uhr
in Krippen, Gärten und Heimen
und bewahren sie vor den Hexen, Dämonen und Zwerge
verwahren sie, verwalten sie
und sagen ihnen daß all das nicht stimmt
was sie schreckt einsam zu sein
inmitten der Heime
* * *
Nur das Alter liest Märchen noch
und sucht eine Kindheit die nie war
oder doch war
vor der Zeit in der alles dann
glatt lief
ohne Einkehr ohne Halt
* * *
Der Märchenerzähler kennt die Distanz zwischen Utopie und Wirklichkeit
er schlägt die Blindnis mit List
ein Seiltänzer er hauchdünne Balance
dem Abgrund nah
Erde und Gras schenkt er uns Wolken, Sterne und Himmel
füllt er die tauben Ohren zischend wie Schlangen mit Gold und mit Gift
* * * Sie sammelten Wörter Mythen und Märchen
schauten wie Luther dem Volk auf das Maul
die grimmigen Brüder schürften das Gold
wie Raben klauen glitzerne Steine
und holten aus dem Vergessen
was uns eigene Starre vergessen ganz macht
aus dem Feuer der Phantasie schlugen die Flammen
unverschattet
in die Herzen der Kinder
* * *
Märchen sind fliegende Teppiche sie enden nie
knüpft man einen Faden folgt der andre sodann
durchfliegen den Himmel wie Raben durchkriechen die Erde wie Schlangen
durchwehen das Gras wie Wind den Staub wie der Atem
der nie uns vergeht
* * *
Ich bin ein Zauberer ich habe den Mond unter dein Herz gepflanzt nun tanzen des Nachts die Spinnen auf deiner Haut und meine Finger weben sich ein tief in deine Stille
* * *
Die Hexe
|
|