Cartosio    -  Notizen -  Sommer 2007

 

 
     
     
     
     
     
   

 

Die Stadt der Zypresse

                          

                                                Albenga   Cervo

 

 
 

Durch den Zitronenhain siehst du die Stadt auf dem Berg. 

Wir gehen durch die Zitronen hindurch. 

Unsere Stadt plötzlich erwacht sie am Berg. 

Vom Turm der Kirche hast du einen Blick auf das endlose Meer. 

Seine Bläue unter der Sonne blendet dich. 

Wir werden die Schiffe sehen, die vorbeiziehen zu den Küsten, deren Staub an unseren Füßen klebt, ohne daß wir es wissen.

Jetzt gehen wir durch ganz enge Gassen, Bogen in der Höhe überwölben sie.

Die Häuser stehen so eng, daß die Sonne kaum Licht auf das steinige Pflaster zu werfen vermag.

Ein Pflaster aus schwarzem Granit  mit hellen Marmorstreifen.

Am Turm die Uhr, ihre Zeiger sind abhanden gekommen. Schwarze Ziffern nur auf der rötlichen Fläche der Ziegel. Daß man aus kleinen Ziegeln einen Turm so schmal und hoch bauen kann.

Amulette bieten die Händler an in den Gassen. Kleine Elfenbeintürmchen, Drachenzähne, Vogelfedern und Masken aus grüner Jade.

Was hängen wir uns um den Hals ? Sag !

Welche Ketten und Fesseln ?

Welches Glück ?

Das Meer sehen, das unter uns liegt. Länder erahnen, deren Strände aus weißem Sand. 

Körper wieder werden ganz und sich auflösen, Sonne und Atem, Wind und Luft nur.

Komm laß uns fliegen !

Kurz nur flattern in den engen Gassen und dann in die Höhe hinaus und hinauf.

Unter uns brechen sich die Wellen und ziehen langsam und schwerfällig die großen Schiffe ihre Bahn.

Aber in diesem Nest hier, in diesen engen Gassen und hohen schmalen Ziegeltürmen wartet etwas auf uns,

Und wir wissen nur noch nicht was.

Sonst hätten die Zitronen uns den Weg nicht hierhin gezeigt.

Irgendetwas wartet auf uns.

Das wir immer schon waren.

Immer schon sind.

Aber wer sagt es uns was ?

Vermögen wir selber es uns zu sagen ?

Dieses Fischgeschäft an der Ecke neben dem viereckigen modernen Kondomautomaten, Zigarettenautomaten gibt es hier nicht, ist völlig leer geräumt. Unter steinernen Bögen direkt an der Ecke seine Auslage, alles leer jetzt, sauber geräumt, kalte Theken, feuchte Schalen und Flächen, ein dunkles Gewölbe, das pausiert im Moment, Mittagsruhe und doch ist alles durchdrängt, strömt von hier in die Nachbargassen hinein Fischgeruch.

Hier atmet das Meer in der Enge der Stadt.

Aber wo ist das Herz, ihr Herz ?

Komm laß uns Fische sein, wir strudeln durch die engen Gassen hindurch zu dem Sog der weiten Plätze und zurück um die kantigen Türme hindurch.

Stell dir vor, alles ist voller Algen und von den Kirchenglocken herunter rieselt lautlos der Sand.

Cinema Italia. Unter Wasser alles. Unterirdisch. Selbst das Himmlische. Vulkanisch. 

Aus der Tiefe brodelt der Bollente. Römische Therme voll Sulphur und Brom.

Piemontesische Kirschen gibt es gar nicht, wie Ferrero für sie Reklame macht.

Die Piemonteser Spezialitäten, die du gekauft hast, waren voller Maden.

Du hättest die Trauben klauen sollen, die schweren, roten, die überall hingen im Monferrato.

Jetzt aber sind wir hier.

In dieser Stadt, deren Name wir sind.

Und sind keine Fische. Deine Füße schmerzen und doch drängt es dich weiter, auch die letzten Winkel zu erspähen, die engsten, schmutzigsten Gäßchen.

Komm wir rollen Zitronen hindurch.

Drei Teile kaufst du. Drei Teile von was ?

Ist was wir suchen dort bei den drei Jungen, die dort eng zusammenstehen, verschwiegen, heimlich, die handys beäugen in ihren Händen ?

Greif in den Rachen des Löwen! Versteinert liegt er dort. Neben ihm die gewaltige goldene Kugel, deren kleinen Ableger du heute morgen an dem eisernen Ofen gesehen.

Diese alte Basilika ist umgeben von steinernen Löwen.

Ob auch Drachen sie umfliegen ?

Bunte aus Papier ?

Nein, sieh, eine Afrikanerin mit einem Riesenballast auf dem Kopf greift in das Maul des Löwen und mit der anderen Hand fächert sie ihm Luft zu  mit einem Fetisch aus lauter schwarzen Rabenfedern.

Was hat diese Basilika nicht alles gesehen ?

Die ausgeräumt nun hier steht.

Das steinerne Taufbecken auf dem Marktplatz.

Die hohen Sakrophage neben den Bars.

Grabsteine an den Schaufenstern aufgestellt, deren Inschriften wir zu lesen vermögen ohne die Sprache zu verstehen.

Sprachlos scheint hier alles steinern zu werden. Abgeschattet in engen Gassen und dunklen Gewölben.

Aber die Sonne sticht hier in die Stadt ihre unerbittliche weiße Glut.

Aufgehitzt lachen wir und bunte Tücher umwirbeln uns. Plötzlich bemalen sich

sich die ältesten Portale mit fremden Farben. An den grauen Häuserwänden erscheinen Bilder. Wir basteln lauter gelbe Sonnen aus Papier und hängen sie in die dunklen engen Gassen.

Sie leuchten hell auf.

In deinen Augen glänzt alles Sonne.

Wir haben unsere Stadt gefunden. Die Zitronen haben sie uns gezeigt.

Kennst du das Land, wo wir uns blühen ?

Das Gras verdorrt, das doch beim ersten Regen wieder grünt und frisch entsteht, verwandelt sich.

Die Zitronen haben uns die Stadt gezeigt. Wird es die Stadt unserer Verwandlung ? Die Stadt mit den engen Gassen und den hohen schmalen Türmen, wo die steinernen Löwen um die Basilika lagern.

Wüstengleich ist das Klima. Wir brauchen das Obst hier nicht abwaschen. Aus den Karaffen fließt uns der rote Wein.

Die Stadt überm Meer döst in der Sonne.

Wolken ziehen über sie hinweg.

In ihren tiefen Brunnen, wenn ausgedorrt sie sind,  schweigen die Skorpione.

Komm laß Käfer uns sein und kriechen zart über antike Marmorreliefs, Gesichter, Lippen, Körper.

Vielleicht verstehen wir, was sie flüstern uns aus ihrer steinernen Starre, welche Hände sie behauen, geformt.

Alles sind wir uns hier. 

Hier in unserer Stadt.

Vögel, Fische, Käfer.

Wir kriechen, fliegen, schwimmen.

Wie schön ist es Mensch zu sein. Sonne und Atem. Sprache und Traum.

Unsere Lippen werden sie sich berühren, werden sie zittern, wenn die Götter erscheinen wieder verjüngt in ihren meerhin, berghin gebauten frühen Städte ?

Sei Sarazenin mir, köpfe mich wie du mich immer geköpft hast. Sieh oben am Turm hängt mein Kopf und lächelt dir zu.

Trag mich sanft wie Salome meine Judith Holofernes  das Haupt, auf flacher Schale.

Durch diesen weißen Friedhof der Stadt mit dem alles überragenden schwarzen Bronzeengel, sollen wir durch die kleinen weißen Kapellen, an den Marmorwänden entlang mit all den Namen kriechen, fliegen oder schwimmen ?

Sei Schlange mir, Habicht , Skorpionin.

Wir schenken den Toten Zitronen, was können wir sonst ?

Wir geben dem Tod die Zitrone in die Hand, als Lohn, nein als Hohn.

Sie paßt gut zu seinem schwarzen Gewand.

 

Die Hölle wird ebenirdisch sein und behindertengerecht.

Räbin wir fliegen über Zitronen wie Schatten um die Sonne.

Im Zitronenhain haben wir uns gefunden.

Er hat uns den Weg gezeigt.

Zu unserer Stadt. Zu der Stadt der Löwen und Zitronen, der hohen schmalen Türme und der engen Gassen, wo der Fischgeruch noch hängt an der Ecke, wo leergeräumt das dunkle Gewölbe neben der Uhr, die zeigerlos in den Himmel nur starrt.

Räbin wie kommt es, dass wir zwischen Himmel und Inferno nie zu unterscheiden vermögen, daß wir zwischen Leben und Tod ein Flug nur sind, eine Sprache, ein Schweigen, ein Flügelschlag absurder unendlicher Stille. In dieser Stadt Räbin ist Ferne und Nähe eins, Meer und Berg. Himmel und Erde sind eins. Gott, Mensch und Tier.

Sommer nur. Atem.  Zitronengelb.

Lass uns fragen in dieser Stadt, das, was wir suchen!

Wen fragen wir ?

 

Wer gibt uns Antwort ?

Wir selbst ?

Der Wind, der vom Meer her weht ?

Der weiße Sand, der in der Brandung unbewegliche Klumben wieder zu Füßen macht ?

Der weiße Sand, dessen eine Korn wir selber zeitlos sind, umspült von fremden Welten, abgelegt ?

Die gewaltigen Palmen fragen wir nicht, die von Touristen nur bestaunt werden.

Ich weiß, wen wir fragen.

Ich weiß, du liebst sie wie ich.

Ihre trotzige und doch majestätisch stolze hohe Gestalt, wie schmal und hoch sie sich in den Himmel reckt alles überschauend, wie sie auf Friedhöfen wacht, wie auf den befahrenen Küstenstraßen. 

Baum des immergrünen Lebens und der weißen Totenstädte.

Sie allein vermag Antwort nur zu geben, weil sie das Schweigen ist.

Hochragendes einsames stolzes Schweigen.

Ruhende Stille.

Unbrechbar.

Wir fragen die Zypresse.

Wir fragen sie, ob wir es ertragen könnten, eine Sekunde nur, Körper und Seele eins uns zu sein.

Siehst du die zwei Raben, wie sie flattern, sie haben sich aus dem Norden verirrt hierhin, hier ist kein schwarzes Meer, nur unendliche Bläue, schwarz nur die Oliven.

Durch den Zitronenhain fliegen die Raben, durchs steinerne Renaissance - Tor in die Stadt der hohen schmalen Türme und der engen Gassen.

Weit schauen Türme und Basilika auf das Meer.

Und über der Stadt, über ihrem weißen Friedhof auch, über dem geschäftigen Treiben der engen Gassen, über dem Schweigen der Toten, wacht eine Zypresse, wacht und lacht über die Raben, diese zwei Nachtfalter, deren vergebliches unaufhörliches Krächzen, wie sie moskitogleich flattern um die Zitronen herum.

Wie sie sich suchen und finden und nicht finden im Schweigen der Zypresse.

 

 

 
     
   

     

   
   

 

 
 

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