Seliges Tal des Rheins! Kein Hügel ist ohne den Weinstock,

Und mit der Traube Laub Mauer und Garten bekränzt,

Und des heiligen Tranks sind voll im Strome die Schiffe,

Städt und Inseln, sie sind trunken von Wein und Obst.             Hölderlin

 

 

                       Rhein

 

Blüht am hange       nicht die rebe ?

Wars ein schein nicht       der verklärte ?

Warst es du nicht       mein gefährte

Den ich suche       seit ich lebe ?                                                   George

 

 

 

 

 

 

Der Rhein in Literatur, Alltagsbewußtsein und aus heutiger Sicht

 

 

 

Einen Orden, der über Generationen die Geduld hat, Burgen auszubauen, bitte ich um die Geduld eines langen Vortrags.

 

 

 

Liebe Hansenbrüder, sehr geehrte Gäste

 

 

zunächst meinen Dank an den Hansenorden, heute hier über das Thema „Der Rhein und seine Literatur“ sprechen zu können. Es erwartet Sie kein zusammenfassender Vortrag. Keinerlei Ergebnisse, die Sie abheften können. Die Fülle des Materials und leider die Kürze der Zeit bei meiner Vorbereitung veranlassen mich ein ganz anderes Experiment zu unternehmen, nämlich gedanklich eine literarische Rheinreise mit Ihnen zu starten, nicht auf einem gemütlich dahinschwimmenden Dampfer, sondern eher eine Schnellfahrt mit dem rasanten kleinen Rheinpfeil, der nicht länger anhält : Themen, Motive und Widersprüche nur streift und im nächsten Moment auf etwas anderes wieder aufmerksam macht. Der Vortragende ist also eher ein schlechter Lotse, der Ihnen die Klippen nur zeigt, sie aber nicht immer sorgfältig umschifft.

 

Von Bingen bis Koblenz, von Nahe zu Mosel, das Felsental, das Tal der Loreley, der Kampf des Rheins von Fels zu Fels, seine Windungen, seine Biegungen, wo der Rhein sich schaufelt inmitten von Felsen seine Tiefe, Strömung und Weite. Im Rheinzickzack. Im Burgen hin- und her. Im Loreley guck guck. Stromkilometer wieviel zur Lilie, zur weißen.

 

Uferstraße, Pfaffengasse, Rheindurchbruch. Im Nebel der Sagen, der Träume, der Burgen und Türme.

 

Pilgerstraße. Wallfahrtsstraße. Kurfürstenstraße, Völkerstraße im Völkerschub. Wagner Schub. Titan spielt mit Sandkörnchen und Atomkraftfassaden.

 

In den Staubkörnern der Geschichte, im Sandbett der Histörchen und Städtchen, Zufall kreist im Spiel der Wellen und des Winds; abgelagert Sedimente, Kies, Kalk, Asche, Träume und Schutt.

 

Im Ungepflasterten am Weidengebüsch, wo auch die Haselnuß blüht, am Leinpfad verloren das Pferdegetrampel. In der Nähe des Schiefers flößen Lotsen der Neuzeit Beton. Container-Schubschiffe verdrängen das Wasser, bedrohen den Sand, das Gras, die natürlichen Ufer der Inseln.

 

Felsen gesprengt und Klippen, dösen blanke Kaimauern, glatt betoniert, in die öde Flucht des Kanals.

 

Rheinvertiefung : Sprengung und doch Verflachung alles. Im wilden Gefährt die versunkenen Schiffe, Rost im Ankerspiel des Rheins, singen sie von den letzten noch lebenden Muscheln.

 

Rhein, der hingeleckte, hingestreckte, weggesogte, Strudel und Sog begradigt. Und doch noch in der Enge der Täler Hochwassergefahr. Rheintalenge. Angst. Überschwemmung und Flut.

 

Wie Wespennester, Honigwaben, kleben an den Füßen der Steilhänge hingeklatscht die Städtchen an der Enge des Flusses, wo wild noch die Brennesseln blühen.

 

Im  Wellenspiel der Macht, im Fürstengeschiebe, geistige und geistliche Korruption, das Gezeche, der Zoll, sauft Brüder sauft, im falschen Fanfarenklang Trommeln der Veteranen, Rattenfänger, neue Fassaden der Sauberkeit, christliches Atomzeitalter, trinkt Brüder trinkt, Schwesterchen ist weggezogen, Teufel hat sie leis beritten, morgen wird gehängt, verbrannt, zieh Brüderchen, zieh.

 

Im Wappendurchlauf, im Bienengesocks, im Löwengetier, im Adlergekralle, im Hänseln und Gänseln, le petit Rhin, Kriege, Kriege, Kriege

 

Rotkreuzschwestern zogen TB-blaß durch die Kriege, die Täler, Höhenluft, fern die Verwundeten im Krieg träumten vom Frühling, vom rheinischen Frühling. Kirschblüten und Weißdorn, Veilchen auf dem Sarg.

 

Welf oder Stauf, Calvinist oder Illuminat, preußischer Jakobiner oder Sansculott, rechts oder links, hü oder hott.

 

Der jüdische Rhein. Der französische Rhein. Der keltische Rhein. Der germanische Rhein. Der römische Rhein. Der gotische, der romanische. Der protestantische, der katholische. Der trierische, der mainzerische, der kurkölnische, der pfälzische. Die Schweden. Die Spanier. Der romantische Rhein. Engländer, Amerikaner. Japaner.  Alles rein. Alles Rhein. Der Vielvölkertrinkende. Vater Rhein und seine Töchter. Loreley und Germania. Die Wacht am Rhein und die Nacht, viele Nächte.

 

In dem Dorf erhängt sich einer im Winter; in dem geht einer in die Hecken, fällt in die alten Gruben; dort reicht die Schiene und der D- Zug; dort ist eine Stelle im Rhein besonders günstig; dort ist es eine Zahl, E 605.

 

Schwere Gewitter des Nachts im Sommer kehren immer wieder zurück, abgeprallt an den Bergen ihr dreifach donnerndes Echo, über dem Rhein zucken die Blitze, gespenstisch die alten Sagen kreisen im Blitz, im Feuer einer alten Scheune. Der Boden schwemmt weg, der Grund. Von den Steilhängen kommt die wenige Erde, die Wurzeln der Reben freigelegt, all die mühselige Arbeit des Winzers. Erde überschwemmt den am Tag noch glitzerndcn Schiefer. Der Berg, die Erde rutscht. Lacht über die kleinen Mauern, ihr Gezacke, ihr Hin und Her am Berg, hüpft über sie, rutscht über sie wie über allzu kleines Kinderspielzeug.

 

Wie Schlangen zischen die Eisenbahnen, die Eidechsen, immer an den Ufern entlang, kriechen in Höhlen, Tunnel, bis blitzend wieder die Sonne lacht über ihre falsche Geschwindigkeit, stählerne Schlangen ohne giftigen Biß. Leere Züge des abends.

 

Touristen speisen die Reste, was der Fluß so übrig läßt, bißchen Geschichte, Ruinen, paar Nixenhaare und abends Musik und giftigen Salm.

 

Das Eis, es schiebt wieder, an der Loreley sprengen sie, die Gefahr des Staus, plötzliche Überschwemmung, das Tal füllt sich mit Flut, gesprengt das Eis, schießt es wieder hinweg ab das Wasser, auf dem Boden zucken noch Fische, zappeln im Sauerstoff der Luft oder in übrig gebliebenen Pfützen. Auf dem Rhein kein Eis mehr, glatt nur Chemie, unsichtbare Salze glätten den Strom Sommer wie Winter.

 

Die Sterne wandern. Hoch über den Bergen der große Bär. Der Fluß wandert auch. Hin und Her geht er. Hier geht er nach Norden direkt, dort um eine Biegung ist schon alles anders. Die Häuser bleiben. Um die Ecke eine andere Welt ?   Kinderperspektiven. Die alten Weiden am Fluß, Wellen singen ihnen ein Lied, weißt du, das, ich weiß nicht, weißt du, das, was ich nicht weiß, was es bedeuten soll.

 

Ja, der Rhein. Wer oder was ist der Rhein ?

 

An Antworten darauf und an literarischen Beschreibungen gibt es kein Mangel. Eher ein Zuviel.

 

Früh schon, Bilder von Hölderlins Rheinhymnus vorwegnehmend, 1639 die Stimme von Joost van den Vondel :

 

„Durchlauchter Rhein, mein süßer Traum,

Von wo soll ich dir Ehre singen,

Dein Sohn, gewiegt an deinem Saum ?

Die Schweizer Alpe läßt dich springen, Herzader von Europens Blut;

Die Donau, dein entzweiter Bruder,

Schickt ostenwärts die rasche Flut,

Du nordwärts, da die gleiche Mutter,

Mit Eis umgürtet, firnenstarr

Euch vor Jahrtausenden gebar.

...

O Mühlentreiber, nimmermüd,

Du Städtebauer, Frachtenträger,

Du Schirmvogt deutschem Reichsgebiet,

Du Weinschenk, Fährmann, Uferfeger :

Schöpf, Hadernwalker, schöpf Papier,

Daß ich dein Lob mag niederschreiben;

Dein Wasser facht die Flammen mir,

Mein Sinn will wie du selber treiben,

Ein Schwan, der singend niederfährt

Und Wingerts Laub und Trauben gehrt.

...

Ob du durchs Loch von Bingen lärmst,

Ob Niederland mit Faß und Bechern

Voll Wingertssäften nährst und wärmst

Und eitle Sorge wehrst den Zechern,

Dein Naß gibt meiner Feder Tint,

Bis sie mit dir das Meer verschlind.“                                             

 

 

„ wie die Wolken sich trennten und zerflossen; wie der Nebel entfloh, und die Sonne in schönerem Glanz hervortrat; wie sich die Busen und Klüften der Anhöhen gleichsam von neuem öffneten; wie die Farben des Lichts sich mit dem grünen, schwankenden Haare der benachbarten Berge mischten, das von dem Regen noch naß war, und neu belebt schien. Ich bin nicht der erste, der die reinere Gestalt der Natur nach einem Regen, und das herrliche Farbenspiel des Regenbogens zwischen Gebirgen gemerkt hat. Hier vereinigte sich mit den Bergen der majestätische Fluß, welcher dem Regenbogen, der auf beiden Seiten zu ruhen schien, zum Spiegel diente, und so fest und so nah bei uns war, daß wir ihn mit der ausgestreckten Hand berühren zu können glaubten. “ 

 

Solch einen Regenbogen habe ich vor zwei Jahren gesehen, als ich mit dem Linzer Altbürgermeister und österreichischen Schriftsteller Hugo Schanovsky und seiner Gattin auf Rheinfels ankam. Wir waren fasziniert und fotografierten. Die obige Beschreibung des Regenbogens über St. Goar ist jedoch 200 Jahre älter und stammt von dem Italiener Aurelio de’ Giorgi Bertòla.

 

1794 stellt Johann Peter Hebel fest: „Auf einer respektablen Höhe gerade unterhalb  Goar liegt das Schloß Rheinfels und hinten dran, landeinwärts die Festung. Alles hängt zusammen, Festung, Schloß und Stadt.“

 

Joseph Gregor Lang schildert 1789 eine Verhansung; später in der  Rheinischen Wunderhornsammlung erfahren wir, wie man bei der Verhansung auf Napoleon anstieß.

 

Johanna Schopenhauer beschreibt Anfang des 19. Jahrhunderts die pittoresken Trümmer der etwa vor zwanzig Jahren gesprengten Festung Rheinfels .Elend, Jammer und Armut in St. Goarshausen schreckt sie. Aber nie in ihrem Leben hat sie angeblich so wunderschöne Frauen und Mädchen wie in St. Goar gesehen und sie beschreibt die goldenen Mützchen und den Kopfputz der jungen Bürgerstöchter.

 

 

Jane Hodd beschreibt 1836 den Eisstau an der Loreley; Karl Simrock 1840 den Salmenfang.

 

Wilhelm Heinrich Riehl sucht 1857 im Herzen der Niedergrafschaft Katzenellenbogen nach syrisch-fränkischer Architektur, nach maurischen Hufeisenbogen, nach Alhambra-Ornamenten. Er sucht auf und in Reichenberg den Orient und bedauert angesichts des vierten Kreuzzugs von 1204 und der Teilnahme von Graf Berthold von Katzenelnbogen :  „ es wäre doch so schön gewesen, wenn Athen damals katzenelnbogisch geworden wäre“ .

 

Max Wallraf schreibt 1926 über die Weinkenner von St. Goar, für die Wein, Jagd und Schiffahrt unerschöpfliche Themen der Unterhaltung bildeten. „An die Schädlichkeit des Alkohols, soweit er im Wein wohnt, glaube ich seit meiner St. Goarer Zeit nicht mehr. ... Gegenüber dem Kasino lag die Ruine Katz. Ihr galt der Spruch, der im Kasino maßgebend war: Man soll so lange trinken, wie man drüben die Katz sieht; ist der Zeitpunkt überstanden, so soll man so lange trinken, bis man die Katz wieder sieht.“

 

Ernst von Schiller 1819: „Endlich, es war schon Nacht, zeigte sich St. Goar mit vielen Lichtern.“

 

Sie sehen, nicht nur den Abend, Abende könnte man füllen mit Rheinbeschreibungen. Dabei habe ich die wichtigsten weggelassen, seltener vernommene Stimmen versucht auszuwählen, um zu versuchen einer Krankheit am Mittelrhein zu entgehen, der endlosen Wiederholung von bekannten Texten und Allgemeindarstellungen, wo einer vom andern abkupfert. Erst hat man Victor Hugo nicht oder kaum vernommen, dann immer wieder.

 

Die Reisebeschreibungen selbst ja schon,  schauen nicht nur die Natur an, sondern mit einem Auge auch immer schon die literarischen Berichte der Vorgänger.

 

Ich darf hier im Hansenorden, der ja nicht nur Geselligkeit, sondern auch kontinuierliche Arbeit sich zum Ziel gesetzt hat, einfach auf das Heft 31 der Hansenblätter vom Jahre 1978 verweisen. In Beiträgen von Klaus Müller, Leopold Ensgraber, Dr. Gudrun Boch, Dr. Dr. Alfred Enkelmann, Siegfried Reich an der Stolpe, Jürgen Helbach und Reinhold Sieben, der im Inhaltsverzeichnis fehlt, wird die Entwicklung der Rheinromantik und ihrer Literatur skizziert und dargestellt. Der Hansenorden sollte eine Banderole um das Heft machen mit dem Titel ‘Romantik’, um es interessierten Touristen zugänglicher zu machen.

 

Im 19. Jahrhundert blühen, vermehren schlagartig sich die Reisebeschreibungen vom Rhein, auch die Überfülle der Stahlstichillustrationen. Romantik, Freiheitskriege, Nationale Begeisterung  und der stetig durch besssere Verkehrswege, Eisenbahnen und Dampfschiffe wachsende Tourismus mit dem Baedecker in der Hand oder dem zusammenfaltbaren Leporello, dem eigenen Rheinlauf in der Tasche, machen den Mittelrhein zu einem der ersten Landschaftsgebiete, das die Vor- und Nachteile eines Massentourismus über sich ergehen lassen muß bis heute.

 

Zwar haben die Römer schon den Rhein als arktischen Strom und frostig beschrieben, als Idylle auch und „pulcherrime rhene“ im 4. nachchristlichen Jahrhundert. Petrarca hat im 14. Jahrhundert den Rhein beschreiben, im 16. in literarischer Form Bernhard Moller. Ich selbst besitze ein Blatt des 18. Jahrhunderts, in dem Bacharach in Deutsch und auf Englisch sogar mit Jerusalem verglichen wird.

 

Aber das 19. Jahrhundert erschlägt einfach alles. Am Ende unseres Jahrhunderts angelangt,  sind wir aus dem Schatten des vorigen noch nicht herausgetreten. Wie diffus auch immer,  bestimmt es noch immer die Klischees des Tourismus und die verschiedenen Mythen von Rhein, Loreley, romantischen Vollmondnächten usw.

 

Zwar hat die Wacht am Rhein längst aufgehört, aber das wiedererrichtete Kaiser Wilhelm Denkmal am Deutschen Eck, vermehrte Deutschlandfähnchen auf den Postkarten und die sächselnden Touristen nach der Wende sind durchaus nicht ohne Hintergrund vorgeprägter nationaler Färbungen und Findungsversuche.

 

Eine Aufarbeitung der Rheinliteratur sollte die verschiedensten Stimmen wahrnehmen, sei es die kritische unromantische Sicht des Aufklärers Johann Georg Forster, aber auch den im George Kreis nicht umumstrittenen Friedrich Wolter mit seinen gesammelten Stimmen des Rheins, die 1923 in Breslau erschienen, gegen den Erbfeind Frankreich gerichtet, doch einen Einblick verschaffen,  zu welchem Ingrimm, Wut und mythischer Selbstüberschätzung die Wacht am Rhein sich befähigt fühlte in Zeiten politischer Ohnmacht. Wir erfahren dort auch, was Scharnhorst 1792 zur Übergabe von Rheinfels zu sagen hatte oder das nach Ansicht von Friedrich List das Land am Rhein des deutschen Ochsen Lendenstück ist und der Nordwesten die halb ungenießbare, halb magere und rauhe Zutat des kargen Fleischers. Einsichten werden versucht dort zu vermitteln über Schwert und Sprache oder über Sprache und Volk. Ein Satz paßt drohend fast zu unserer Nachwendezeit : Die äußere Einheit ohne die innere ist Machwerk ... Auch eine alte Stimme erreicht uns, von 1640, die von Moscherosch : Ihr Deutschlinge! Ihr ungeratene Nachkömmlinge! Was hülft euch solche neue Unart ? Altes Wesen her! Alte Geberden her ! In Hitze und Frost übet euch, nicht in Schminken und Schmucken! Alte Hertzen her! Alt Geld her!

 

Ein guter Kenner und Forscher der Romantik fragte mich einmal, sind die Menschen am Rhein, dem Herkunftsland Metternichs, eigentlich zur individuellen romantischen Empfindsamkeit und Wahrnehmung fähig, oder einfach nur reaktionär, gilt ihnen einfach immer nur das alt Hergebrachte, Verklärte, nur die Vergangenheit ?

 

Was sollte ich ihm antworten ? Von meiner Generation sind die wenigsten am Rhein verblieben. Bei jüngeren Jahrgängen sieht das anders wieder aus. Selbst einige, die durch Besitz und auch Arbeit gut am Rhein hier leben könnten, ziehen mitunter weit weg.

 

Nur das vage Gefühl, daß am Rhein es hier so schön ist, was landschaftlich ja auch weiterhin stimmt, daß hier soviel Geschichte, daß alle den Rhein aufsuchen und lieben, daß der Wein so gut, daß man durch die bloße Anwesenheit selbstzufrieden hier schon geadelt, wird eine Zukunft nicht zu gestalten vermögen. Selbst die besten Rheinbeschreibungen würden da nicht helfen. Selbst die lustigsten Mädels nicht, sollten die Bedienungen vom Rhein kommen, was auch immer seltener schon geworden ist.

 

Es hilft nur das langsame und zähe Erlernen einer wichtigen Fähigkeit, Licht und Schatten zu sehen, beides, in der Literatur wie auch in den gegenwärtigen Lebensbedingungen hier.

 

Vergessen wir auch nicht, die Rheinbeschreibungen wurden in der großen  Überzahl von Fremden verfaßt, von Reisenden, die gewohnt sind zu übertreiben, sich interessant zu machen, mit ihren malerischen Eindrücken zu Hause den Neid der Dortverbliebenen und Nichtreisenden zu wecken.

 

Nur wenige vom Rhein schrieben. Brentano, Görres, Heine, George. Deren Vorfahren kamen auffallend nicht gerade nur vom Rhein und ihre literarischen Treffpunkte lagen nicht am Rhein, sondern in Städten außerhalb.

 

Und vergessen wir bei den schwärmerischen empfindsamen Texten auch nicht, es war Mitte des 19. Jahrhundert als viele von hier nach Amerika auswandern mußten. Deren Sicht vom Rhein, vom letzten Blick auf die Heimat, wird uns bei den Reiseführern nicht literarisch vermittelt.

 

Vieles vom 19. Jahrhundert ist zu sammeln und ins Museum zu stellen, wenn denn hier eins wäre für Rheinromantik. Das in Bacharach von Bertil Fuchs eröffnete, ist jetzt in Japan nur zu besichtigen. Kaum war die Stadt Besitzer des Posthofes verschwand auch schon leider das Hinweisschild auf dieses Museum in Japan. Wäre Japan denn so schlecht als Standort, hier sind die Touristen auch heute noch überwältigt von der Schönheit der Landschaft. Bilder schaut man sich woanders, zu Hause in Japan dann in Ruhe an.

 

Aber welcher Verlust ist dieses verlorene, von Mainz nicht genug unterstütze Museum dann doch auf Dauer für unsere Landschaft und unsere Kultur und welcher Undank für Bertil Fuchs, der in Bacharach den alten Posthof dafür renovierte.

 

In den literarischen Beschreibungen wie in der Malerei gilt die Strecke von Bingen bis Koblenz als das Herzstück des romantischen Rheins. Hier müßte auch mit Landesmitteln ein Museum der Rheinromantik eigentlich errichtet werden. Aber zum Ausverkauf dieser Gegend gehört auch, daß heute genau das, was diese Gegend betraf, woanders aufgearbeitet wird - als ob in Ludwigshafen der Loreleyfelsen sei. Dort fand 1992 eine Ausstellung, eine versuchte Aufarbeitung von Mythos Rhein, von Nibelungen, Loreley und Rheinromantik auf einem Rheinland-Pfalztag statt. Hier erhält man noch nicht einmal den Katalog.

 

Vieles vom späten 19. Jahrhundert, das nationale Säbelgerassel, die immer klischeehafter sich verkitschenden Darstellungen des Rheins, der ohne individuelle Sicht nur noch Fassade, Kulisse, nur ausgehöhlter, verblaßter Schatten einstiger Romantik wurde, gehört nicht in den Köpfen aufgehoben, sondern ins Museum.

 

Das Leben am Rhein darf nicht museal werden. Irgendwann ist auch die romantischste Zitrone  einmal ausgepreßt und gibt keinen Saft mehr her. Man kann nicht immer nur vom Vorgestern leben.

 

Was bleiben wird, wird dieses schöne Gedicht von Freiligrath sein, das er hier in St. Goar schrieb, dieses Totenamt für Brentano, dieser Gruß an Uhland. Es wird bleiben, weil es eine Spannung, einen inneren Zwiespalt und Kampf des Dichters ausdrückt, weil eine neue Zeit gegen das Altvertraute pocht, das er liebt und das er doch aufzugeben zu gezwungen scheint und langsam erst eine Versöhnung und Integration zweier Sichtweisen und Erfahrungen, das heißt, eine neue Dichtung in ihm reift, in der die verbannte Sicht Königin ihm wird, von der er sich abwendet in die Forderungen neuen Tags, der er aber innerlich versöhnt dann zugewendet bleibt. Mit zwei Zeilen hat Freiligrath dann für immer der Romantik ein Museum hier in St. Goar errichtet : „ In kleinen Ufervesten, morsch und grau, birgst du dich zitternd, wunderbare Frau!“

 

Die romantischen Dichter werden ihre späten Nachahmer und Epigonen überleben. Der gute Anfang darf durch spätere Mißtöne nicht zugeschüttet und überdeckt werden.

 

Das 19. Jahrhundert hat den Rhein so überbeansprucht, so ausgelotet, ja ausgesaugt fast, daß das 20. Jahrhundert sich von ihm ausruht, wenn da nicht Stefan George und Zuckmayer wäre.

 

Zwei Weltkriege haben im 20. Jahrhundert das Gespräch, die Erfahrungen und Sichtweisen von Generationen unterbrochen. Nationale Grenzen sind kein Thema mehr hier am Rhein. Das überraschend plötzlich und schnell wiedervereingte Deutschland wird aber noch an seiner Idendität arbeiten müssen. Gegensätzliche Auffasungen über Romantik, über den Mythos Rhein,  über Geschichte, deren Erbe und Bewältigung , sollten nicht nur Akademikerkreisen vorbehalten bleiben.  Die Stunde Null hat keinen Anspruch auf ewigen Bestand. Und der Mythos Rhein bei aller privaten Sammlerwut hier kann nicht in einer Postkarte stecken bleiben.

 

Und doch kann man die Schatten nicht wegwischen. Man muß sehen, daß vieles im Nationalsozialismus schrecklich vereinnahmt und mißbraucht wurde, auch und gerade die Romantik. Gegen die Georg Lucas eifernd wetterte und die bei bundesrepublikanischen Germanisten lange noch nach dem Krieg fast tabuisiert war.

 

Die auch nach dem Krieg so gepriesene Romantikausstellung in Oberwesel wurde von der Reichsschriftumskammer veranstaltet, als die besten Schriftsteller schon im Exil waren.

 

Auch der Hansenorden täte gut daran, festzustellen, wer denn wann und wo zuerst das „Heil und Humpen“.  gesagt, das eben keiner Vereinnahmung zu einem Unheil hin dienlich sein darf. Ich habe mich kundig gemacht, wo das Wort „Heil“ überall verwendet worden, in verschiedenen Grüßen, beim Wandervogel, auch in guten Gedichten. Barocken tät es gut klingen und zum Hansenorden passen, im 20. Jahrhundert schreckt es, wenn einer es mißverstehen würde. Es kann eben heute nur mahnen auch zur Aufarbeitung und zum kritischen Umgang mit Traditionen, Heimat und Geschichte.Verschiedene Artikel in den Hansenblättern zu diesen Themen belegen eigentlich alle den richtigen und notwendigen Weg, den der Hansenorden eingeschlagen hat. Die Deutschen als Unschuldsengel darzustellen, denen alles Böse und Unheil von außen nur zukam , kein Weihnachtsmann vermöchte dies. 

 

Die spektakuläre Heineshow zu Düsseldorf im diesjährigen Jubiläumsjahr, 5 Millionen soll das alles gekostet haben, hat zu Recht Thomas Mann, Walter Benjamin, auch dann Marlene Dietrich und die plötzlich zu neuen Einsichten gelangte Anna Seghers Heine in seine Heimatstadt begleiten lassen.

 

Ich habe früh auf Verdrängtes aufmerksam gemacht, auf Deportation der Juden und „Euthanasie“opfer hier am Rhein. Ich fühle mich heute aber auch fremd gegenüber einer glatten und zu offiziellen Vergangenheitsbewältigung  und Versöhnlichkeit, die individuelle Schatten und Widersprüche allzu schnell wegstreichen will und schon auf den nächsten Film oder Bestseller wartet, der alsbald schon von dem nächsten Medienhit abgelöst wird. Die hektischen Hin- und Her-diskussionen zeigen jedoch, wie unsicher der ganze Boden noch ist, der sich je nach Medien- und Wetterlage so oder so bewegt, auf jeden Fall aber glatt von oben nach unten.

 

Widersprüche zuzulassen, andere Sichtweisen wahrzunehmen halte ich für unerläßlich. Literatur ist dafür geschaffen, nicht für die Selbstbestätigung eingefrorener ideologischer Sicht. Dies gilt für alle Bereiche.

 

Auch für Doktorarbeiten, die in einem Leporello-Rheinlauf oder in Höhendörfern noch Utopie sehen wollen, dem Mißbrauch der Romantik später sich nicht stellen, für die Victor Hugo nur journalistisch ist und die die ganze innere Empfindung der Romantik nur als Folge immer schnellerer

Wahrnehmungsverläufe technischer Entwicklung sehen. Für die Heine oder Hölderlin immer nur so und ja nicht anders zu sein hat. Die George schon längst abgelegt und eingeordnet haben.

 

Aber all die schöpferischen Widersprüche, Spannungen und Ambivalenzen dieser Dichter sind produktiver immer noch als ihre stets besserwissenden Interpreten.

 

Am Rhein sind die Spannungen gegensätzlicher Sicht scheint’s größer noch als anderswo. Es ist einseitig, wenn filmisch die eigene Jugend hier am Rhein nur verkrüppelhaft und provinziell, psychisch krank machend dargestellt wird. Oder wenn einer aus der Rheinschwärmerei und dem Begeisterungsrausch gar nicht aufwacht, sich in der Nur-nabelschau seiner Kleinstadt verstrickt und nicht die Gefährdungen sieht, die Verramschung und den Ausverkauf. Der Rhein hat nicht nur einen Sommer hier, sondern immer auch einen langen Winter.

 

 

Heute sind die Rheinbeschreibungen ersetzt durch Videos, die man sich kaufen kann oder im Fernsehen genußvoll und stolz ansehen kann. Schöne glanzvolle Bilder immer, die Landschaft macht es einem so leicht, auf denen alle Schatten wegretouschiert zu sein scheinen. Ein schnelles Vorrübereilen, eine Farbenpracht und Glätte,  die selbst die Epigonen der Romantik nie erreicht haben.

 

Wie sieht es mit der Rhein-Literatur heute aus ?  Ihr Fehlen vermißt keiner hier. Es reicht, wenn auf dem Absenderstempel der Verbandsgemeinde Bingen-Land „Kultur und Wein“ steht. Mehr bedarfs nicht.

 

 

Die Schriftsteller bereisen heute nicht mehr den Rhein, sie werden eingeladen. Direkt 60 Stück auf einmal. Aus benachbarten Ländern auch. Die Stiftung Bahnhof Rolandseck tut etwas zur literarischen und kulturellen Imagepflege des Landes Rheinland-Pfalz, man kann ja dort nicht immer nur Südhessen kopieren , und lädt die Schriftsteller alle 1984 auf ein Schiff ein,  den Rhein hinab zu fahren. Erich Fried ist noch mit dabei. Das Ergebnis lohnt sich. Die Texte über den Rhein werden veröffentlicht. Manche geraten auch in andere Rheinanthologien. So ist das alles bestell- und planbar.  Jean-Claude Renards Gedicht überzeugt mich am meisten in seiner Tiefe, Suche und Rätselhaftigkeit in diesem Band. Aber es deutet sich in diesem Band auch an, was sich anderswo nach meiner Meinung noch mehr zeigt, daß nur die Satiren über Rhein und Loreley, dies Toreloreliese,  auch sprachlich gut gekonnt,  nicht ausreichen, um eine neue Rheinliteratur zu begründen. Wo selbst das Krankenhaus hier nach dem Verlust seines Sanctus „Loreleyklinik“ heißt , Loreley längst alles und nichts heißen kann, was sollen dann noch die mittlerweile üblichen und fast zwanghaften satirischen Verfremdungen ? Michael Zeller läßt wenigstens einen schwarzen Transvestiten aus San Francisco, der ein Hakenkreuz in Goldlamé auf seinem, bezw. im Text ihrem Genital trägt, noch von giebeligen Burgen und von der Lore Lay träumen. Wenn da einer in dürftigen Worten beschreibt, wie er gegenüber der Loreley hinpißt, bekommt er in Boppard schon einen Literaturpreis. Aber auch das gutgesinnte Anliegen des Umweltschutzes, die Sorge um die Vergiftung des Rheins wird allein den Rhein nicht wieder in der Literatur lebendig machen können.  So lesen wir in dem bereits erwähnten Ludwigshafener Ausstellungskatalog „Mythos Rhein“  : „ Die Loreley heute. In unserer Zeit hat sich die Loreley erneut gewandelt. Seit der Rhein durch Abwässer und Chemiegifte stark verschmutzt ist, wurde sie auch zu einem Symbol der sterbenden Umwelt.“ Man ist geneigt hinzuzufügen, ich weiß nicht, was soll es bedeuten, jetzt weiß Heine, warum er so traurig ist, wegen dem Chemieunfall der Fabrik Sandoz in Basel, den er mit seiner Loreley erahnt haben muß.

 

Ulla Hahn gelingt dagegen mit ihrem Loreleygedicht eine ganz andere sprachliche Schärfe und Sicht noch.

 

Erfrischend wirkt ein Gedicht im obig genannten Bahnhofs Rolandsecker Rheinfahrtband von Guntram Vesper, von dessem Vorfahren wohl ich noch eine herausgegebene Kriegsausgabe von Hölderlin besitze, Guntram Vesper endet sein Gedicht knapp, schlicht und einfach :

 

 „Das war einmal der Deutschen Stolz, ihr Schicksalsfluß.

 Blieb nur die Schiffahrtsrinne. Gott sei Dank und Schluß.“

 

Sie sehen, wir hätten uns viele, ja alle Worte bisher sparen können. Vesper setzt alledem ein Ende, ein Gott sei Dank und Schluß. Immerhin, er sagt nicht Kanal, er sagt Schiffahrtsrinne noch.

 

Wir müssen unsere Fahrt mit unserem Rheinpfeil in der literaturbetrachtenden  Schiffahrtsrinne leider noch mehr beschleunigen.

 

Kurz nur Wichtiges skizzieren.

 

Sinnvoll wäre es, aus dem Schatten des 19. Jahrhunderts mehr herauszutreten und sich zukünftig auch andere Rheinreiseberichte anderer Jahrhunderte anzusehen.

 

In einer analytischen Bibliograhie europäischer Reiseberichte des späten Mittelalters, herausgegeben von Werner Paravicini, erfahren wir in der Konkordanz mittelalterlicher Ortsnamen, daß St. Goar  dort „Gelber“ genannt wird.

 

Mindestens vier Reisen mit großem Gefolge sind dort auffgeführt mit zahlreichen Literaturangaben, deren Weg über St. Goar verlief. Auch „Bacharach“ ist öfters benahmt in diesen Berichten. Von einer Reise dieser Zeit wurde bereits im Hansenblatt berichtet, von der Albrecht Dürers, der ja künstlerisch seinen Eindruck von Rheinfels in einer Zeichnung festhielt.

 

1660 hält von Antwerpen aus Daniel Papebroch in einem ausführlichen Tagebuch seine Reiseeindrücke fest, die näher zu untersuchen wären. In  Johannisberg im Rheingau bekommt er statt eines Bettes nur Streu und findet keinen Schlaf, weil ein Pater unerträglich schnarcht. Wir erfahren etwas über den Verzehr von Flußkrebsen hier. Daniel Papebroch war ein reisender Jesuitenpater in der Tradition der Arbeit der belgischen Bollandisten, die systematisch die Heiligenlegenden sammelten, so auch die des hier verehrten Knaben Werner.

 

Der Hansenorden, der in seinem Ursprung ja mehr am Hafen als hier auf der Ordensburg anzutreffen ist, seine eigene Geschichte ist ja auch gerade die Geschichte reisender Kaufleute. Die Bedingungen der Reisen waren vor dem 19. Jahrhundert für Kaufleute äußerst strapaziös und setzten kräftige,  gute körperliche Konstitution voraus. Man lebte ja nicht auf Einladung in herrschaftlichen Häusern gleichrangigen Adels, sondern nach anstrengendem Gepolter im Kutschenwagen, oft mit einem besoffenen Postillion, suchte man Wirtshäuser, deren Ruf nicht immer der beste war. Sein „Geschäft“ im Freien zu verrichten war besser als den Abtritt zu benutzen, auch das eigene mitgebrachte Reisebett schützte vor Wanzen und Ungeziefer. Der Wirt pries einem nach verschiedenen Tarifen zum leiblichen Genuß die Jugend der Nachbarschaft an. Man hatte selbstsicher aufzutreten, seine Waffen zu zeigen, um Diebe möglichst direkt schon abzuschrecken. Es war ein langer und beschwerlicher Weg bis zu der Zeit, wo Freiligrath stolz und dankbar sein Wirtshaus, seine Krone in Aßmannshausen oder seinen Aufenthalt in St. Goar rühmen konnte.

 

Seit seinem frühen Werbe- und PR-Sprecher Lord Byron ist der Tourismus am Rhein für Literatur, Kultur und Alltag immer entscheidender geworden.

 

Glücklicherweise konnten Negativerscheinungen wie das gewaltige Bauprojekt „El Dorado“ bei Henschausen auf der Rheinhöhe verhindert werden.

 

Eine stetige Auseinandersetzung mit analysierenden, psychologischen und kritischen Stimmen zum heutigen Tourismus ist notwendig, wie sie bei Hermann Bausinger und Horst Martin Müllenmeister jeweils vorzufinden ist :

 

Wo die sozialen Strukturen zerstört sind, hilft auch kein Heimatabend, der die gute alte Zeit mit ihrer fröhlichen Gemeinsamkeit beschwört.

 

Seit der Mensch in der neolithischen Revolution seßhaft geworden ist, hat er das Reisen jedoch nie ganz aufgegeben. Hinter allen notwendigen Motiven und jeweiligen Gründen für das Reisen : Kriegs-Kreuzzug, Geschäftsreise,Wallfahrt, Pilgerreise, Kur-und Badereise, Bildungssreise, angeblicher Erholungsurlaub stecken zu allen Zeiten oft auch unausgesprochene abenteuerliche, neugierige Wünsche aus Lust am Neuen und an Abwechselung .

 

Der heutige Tourist ist kein empfindsamer Reisender mehr so wie früher. Er hört nicht auf die Worte der Dichter, sondern auf die Werbebotschaften der Marktstrategen. Er fährt nach Y, weil Meyers dort letztes Jahr waren und er fährt nach Z, weil Schulzes dort noch nicht waren.  Er sieht sich Sehenswürdigkeiten nicht genau an, er fotografiert sie, mit seinem Auto oder seiner Frau davor, als Beweis für seinen sozialen Status in der Konsumentengesellschaft. 

 

Mit der Sehnsucht der Romantik nach dem Reinen,  dem Natürlichen und Unberrührten sucht er dieses und schafft doch die Bedingungen, daß dieses auf Dauer vernichtet wird.

 

„Die Menschen fliehen aus der Masse und landen doch in der Masse; die „Saison-Falle“ lockt Tausende zur gleichen Zeit an den gleichen Ort: „Einsamkeit, wie bist du übervölkert“, notiert der polnische Schriftsteller Stanislaw Jerzy Lec.

 

Ob Metzger, Bäcker, Eisdiele, Winzer, fast jeder scheint heute hier nur vom Tourismus abhängig zu sein. Und das Wetter macht’s nicht immer allein. Selber darf man in der Weinduseligkeit des Tourismus nicht steckenbleiben und am Ende selber das glauben, was oft zu glatt hochgepriesen wird an stereotyper grob überzerrter, gelackter Romantikschablone. Die Jugend scheint demgegenüber hier viel skeptischer.

 

In einem jüngsten Flugblatt der SPD Bacharach lese ich von einem neuen „Rhein-feeling“ und vom Swingen. Nun, ich habe nichts dagegen, wenn die Parteien hier anfangen zu swingen, vielleicht bringt das Bewegung in die Landschaft. Ob Schunkeln oder Swingen, der neue Schwung müßte in seinem Elan jedenfalls etwas mehr sein als nur wieder ein Tagesgehopse.

 

Auch „Tal total“ oder die schon ermüdeten nur unterhaltenden, der Kurzweil dienenden Sommer-kulturhappenings, die Heine nur zur Verdauung zitieren in ihren kulinarischen Nächten, heben die drei anderen Jahreszeiten nicht auf. Der Rheingau hat hier den Mittelrhein kulturell und überregional schon weit hinter sich gelassen.

 

Eine mehr bodenständige Literatur wie in Hunsrück, Bayern oder Westfalen, wäre hier am Mittelrhein nicht am Platze, wo alles mehr und  schneller fluktuiert, schnelllebiger den wechselnden Bildern und den auch mentalen Anpassungsdrücken des Tourismus unterworfen ist. Wie viele neue Hoteliersfamilien kamen allein in der Blütezeit um 1900 von außerhalb neu an den Mittelrhein hier. Doch was allzu sehr auf den Tourismus schielt, kurzfristig an das nur schnelle Geld denkt, ja nicht wagt im Denken und Fühlen die flüchtigen Glanzseiten der Prospekte zu verlassen oder anzutasten, wird langfristig Zukunft hier untergraben. Die rheinische Fröhlichkeit darf nicht in einer käuflichen Zwangsgrimasse enden, sie kann nur Ausdruck eines Lebens sein, das Erfahrung zuläßt, realistisch bleibt gegenüber Gefahren und Risiken, und Schicksalsschläge mitunter mit rheinischem Humor zu überwinden und selbstkritisch zu belächeln weiß.

 

Wie kommen nun diese Menschen hier in der Literatur vor ?

 

Welches Bild hat man vom rheinischen Menschen, seiner Wesensart, seiner Tugenden und seiner Untugenden ?

 

Meist überwiegt das mehr Joviale - der Witz, die Anektoden - und die etwas leichtlebige Heiterkeit eines liberalen saturierten reichen Bürgertums in Düsseldorf oder Köln. Nur Stefan George schaut etwas tiefer in unsere nähere, ernstere, felsigere und doch nicht so wohlreiche Gegend : „ Wo sie häuser gebaut/engt ein klemmender Druck/Wo ein lied ihnen quoll/meist war es klage.“

 

Rheinländer gelten, weil der Rhein, schon früh als germanisch, keltisch, römisch, fränkisch, nun mal immer eine Vielvölkerstraße war und ist, als schnell anpassungsfähig, gastfreundlich, gern Feste feiernd, als Lebenskünstler, mitteilsam, zu Spaß und Spott aufgelegt. Als ausgesprochen sprachbegabt und flink mit der Zunge und dem Gesange zugetan. An Zuckmayers „Des Teufels General“ sei erinnert, der jeglichem öden rassistischen Reinheitsgedanken fern steht, auch jeder ideologiestarren lebensfeindlichen attrappenhaften Askese.  Bei dem Aufklärer Georg Forster mündet die rheinische Mentalität aber in ein Negativbild von Faulheit, Rückständigkeit, Liederlichkeit und Verwahrlosung. Rheinländer gelten als spontan, sentimental auch, rezeptiv, nachempfindend und nachschaffend, begeisterungsfähig mehr als selbst produktiv und schöpferisch zu sein. Dem Leichtlebigen traut man - bei allen Improvisationen, Ideen- Gedankenblitze, Anregungen -, nicht immer soviel Ausdauer, Kontinuität und Verläßlichkeit zu . Rheinischer Humor könnte den Bierernst von Ideologien unterlaufen. Natürlich prägt das Bild des Weintrinkers die rheinische Fröhlichkeit, Ungezwungenheit und die wohltemporierte Mentalität. Fernsehfasnacht und Karneval tragen das ihre auch dazu bei. Thomas Mann läßt seinen Hochstapler Felix Krull aus dem Rheingau herstammen.

 

Staatsbewußtsein und Vaterlandsgefühle schreibt man dem Rheinländer nicht immer zu. Ich selbst mußte als Kind bei meinem westfälischen Großvater ein langes Lied auswendig lernen : „Ich bin ein Preuße, will ein Preuße sein, die Farben usw.“ Meinem westfälischen Großvater waren die linksrheinischen, lebenslustigen Rheinländer als halbe Franzosen suspekt.

Pauschalisierungen umfassen nie die ganze Wirklichkeit. Die rheinische Mystik, zum Beispiel einer Hildegard von Bingen, die Empfindsamkeit einer Günderode sprengen schon das oberflächliche Bild.

 

Berichte von dem Leben und der Arbeit auf den Schiffen gehören natürlich auch zur Rheinliteratur. Leider gibt es heute hier keine oder kaum Kneipen mehr, in denen Schiffer oder Lotsen ihre Erfahrungen und Schwänke austauschen. Man steigt auch nicht mehr vom Schiff, um Wurst beim Metzger einzukaufen.

 

Gute Berichte über den Rhein finden wir noch bei Karl Korn, der schreibt, daß bei aller Zivilisation hier am Mittelrhein, bei all den Kirchen, Klöstern, Stadtmauern, Kapellen und Burgen, die Faszination darin besteht, daß doch im Gegensatz dazu die erste Natur stets immer noch stärker bleibt.

 

Über W. O. von Horn könnte man sprechen, der -vielleicht Heine vor Augen- auch über die Juden in Bacharach und dem Versuch eines Progroms schrieb. Der als Pfarrer die Seelen der Menschen hier kannte. Vergeblich suchte Horn Spuren der Ruine Sareck, die auch auf Karten gegenüber von Bacharach eingezeichnet war. Es handelt sich bei der Burg „Sareck“ statt „Stahleck“ nicht um eine Erfindung Heines oder einen Schreibfehler. Heine übernimmt diesen Namen wohl aus literarischen Vorlagen. Die Stahlstich-Illustrationen von Horns Buch „Der Rhein“ bekommen in einer jüngsten Übersicht  leider eine vernichtende Kritik als „seelenloses Handwerk“.

 

Die beste Illustration, die zu unsrer Schnellfahrt durch die rheinische Literatur hier passen würde, hat fast jeder in der Bundesrepublik kostenlos bei sich zu Hause, nicht nur hier in der Region. Es ist das Titelblatt des neuen fünfstelligen Postleitzahlbuchs, auf dem das wieder zusammengefunden Deutschland als Puzzle erscheint. Ausgerechnet in dem alten Kernland am Rhein ist aber das Puzzle noch offen und nicht zu Ende gelegt. Die Arbeit an der geschichtlichen  Idendität scheint eine ewige Aufgabe am Rhein hier zu sein.

 

Auch heute gibt es stets auch Versuche den Rhein und seine Landschaft neu, unbefangener, realistischer oder anders als bisher wahrzunehmen. Sei es ein Projekt „Wasserzeichen“ der Bacharacher Galerie am Strom oder seien es die Jagd- und Naturschilderungen auf unseren Rheinhöhen des Jägers und Autors Diether Cord Voigt von Velthaim.

 

Meine „Hexe von Bacharach“ war auch ein Versuch einer Integration von Verdrängtem und eine kritische und neue Sicht. Rheingedichte von mir selbst wurden in Vilnius und  übersetzt und ein Artikel in Moskau erschien: „Kapitän der weißen Schiffe“ . Das freute mich, komme ich doch aus einer Schiffersfamilie hier, nur mein Großvater hinkte von Geburt an etwas und wurde deshalb Uhrmacher und  Antiquitätenhändler.  Mein rheinischer Großvater, den ich persönlich nie kennenlernte, 1848 wurde er geboren, seine Welt hat mit der heutigen rheinischen Wirklichkeit- außer der Landschaft- nichts mehr zu tun. Vor Jahren war hier im Hansensaal eine Lesung, ich weiß den genauen Titel nicht mehr, vergessene Autoren einer vergessenen Landschaft oder so ähnlich. Selbst das habe ich vergessen.

 

Die kulturelle Situation am Mittelrhein hat sich geändert, die großen Weinhändlerfamilien, die noch Antiquitäten einst bei meinem Großvater kauften und kulturelles Erbe versuchten hier zu bewahren, sind in den Hintergrund getreten. Literarisch wie kulturell, aber auch touristisch von Reisemanagern her ist diese Gegend in Gefahr,  nur noch von außerhalb vermarktet zu werden. Die ausländischen Touristen steigen von den Schiffsanlegestellen direkt in die Busse zur nächsten Raststätte.

 

Bacharach, das kurkölnisch, pfälzisch, preußisch und nie mainzerisch, kann heute - bei der verwaltungs-und pressemäßigen Zersplitterung - froh sein, wenn Bingen-Land, Ingelheim und Mainz sich seiner erinnert, daß die Landeszentrale für politische Bildung die Geschichte der eigenen Burg anspricht endlich und aufarbeitet. Wer wo welche Opfer zitiert, wer wie die Loreley , die Romantik wie sieht, wie schön und auch wertvoll ist das, wie offiziell legetimiert, wenn das von außerhalb geschieht, reibungslos abläuft; aber wie zum Kotzen ist das , wenn es auch ein Hinweis ist auf den Substanzverlust hier selbst.

 

 

Die Rheinländer hier sind die Ossis der Romantik gegenüber den Wessis der schnellen Anpassung und Verwertung, den Widersprüchen und Generationserfahrungen glattziehenden PR-Metropolen und Medienakademien. Irgendwann fahren die Schnellzüge dann hier nur noch vorbei, genießen kurz den Ausblick, trennen die Städte vom Fluß, und halten nicht mehr in diesen Bahnhöfen, die mehr verwahrlost sind als im Rest der Republik.

 

Es war mir ein Genuß einen Filmbeitrag über den Rhein zu sehen von einem Autor, der seine Meinung dort verschwieg, die er mir früher einst verriet, daß hier am Rhein alles doch rechts daneben, unfähig zur Literatur sei, unkritisch, national benebelt, ohne östliche Dissidentenerfahrung, nur Suff und Klischee.

 

Litauen, wie es jetzt noch ist, wurde mir zu einem utopischen Modell für Landschaft, Kultur und poetischen Frühlingsnächten. Ausgerechnet Litauen, denn mit „Litauer“ wurden einst hier die preußischen Beamten beschimpft. Aber Preußen hat dem Rhein hier viel gegeben und der Rhein hat auch Preußen viel gegeben. In Litauen konnte man im Gegensatz zu mir - zu meiner Schande sei es gesagt - die Loreley auswendig. Zu Hause angekommen las ich erst mal wieder Heines Buch der Lieder, eins von meinen vielen Ausgaben, und verstand es in einer Tiefe wie nie zuvor.

 

Die Rhône im Central Valais, über die ich viel schrieb, wurde mir ein Gegenmodell, in dem nicht nur  Monokultur Wein vorzufinden ist, sondern wie um 1900 hier noch viele Obstsorten, Aprikosen und Pfirsische.

 

Meinen Horizont erweitert hat ein Film, der kein sience-fiction war,  sondern wissenschaftlich geologisch, so ernst wie einst hier die Vulkanismusdebatten der Aufklärung. „Der große Crash“ hieß der Film glaub ich, er handelte von der Verschiebung der Erdplatten und Kontinente. Ausgerechnet hier, in unserem idyllischen Rheintal mit den gegenüberliegenden Weinbergshängen soll dereinst im Rhein-Rhônegraben ozeanartig der Kontinent sich teilen. Bekommt Frankreich dann doch noch seine „natürliche Grenze“ ?

 

„Kultur am Fluß“ nennen sich Happenings an der Lahn in Gießen oder Marburg. Aber bei aller Sympathie, die Lahn ist kein Strom. Der Rhein ist ein Strom. Viele ausländische Autoren, mit denen ich dank der Marburger Literarischen Gesellschaft hierhingereist war, waren fasziniert von diesem Rheinerlebnis, das eben in Edenkoben, Mainz, und auch im Bahnhof Rolandseck nicht so möglich ist. Der Direktor des Gorki-Institus in Moskau ließ sich an mehreren Stellen auf die Rheinhöhen fahren. Manchen war es ein Anstoß, Gedichte wieder zu schreiben. Die Frau des ukrainischen Botschafters veröffentlichte inzwischen ein kleines Bändchen mit Rheingedichten, das vielleicht wir am Rhein auch einmal hören werden. Es gab aber auch Stimmen, die sagten, hier in einer solch schönen, seltenen und geschichtsträchtigen, sinnüberwältigenden Landschaft könnte ich nicht schreiben.

 

Auswärtigen und Einheimischen bleibt der Rhein, dessen Landschaft doch nicht zerstörbar ist, das ist seine Kraft auch, ein Erlebnis. Der alte römische und keltische Flußgott, der hier zwischen Felsen mit den Augen zwinkert, und über den der Wisperwind hinstreicht, bleibt, was er immer war, lebendiger Strom. Der Genuß von Wein, Stille in den Seitentälern, das Rattern von Zügen am gegenüberliegenden Ufer, Sonnenaufgang auch, nicht nur romantische Vollmondsnächte, all das und noch viel mehr, läßt diese Landschaft immer noch zu einem utopischen Wunsch werden, hier, hier müßte doch auch Gespräch, Nähe, Freude, Kultur eigener Art und Begegnung möglich sein. Begegnung und Gespräch auch über Generationen hinweg. Wo meine Kinder dort spielen, spielten Kinder meiner Familie im letzten und vorletzten Jahrhundert auch. Und genauso ließen sie kleine flache Schiefersteinchen mehrmals über die Wellen flitschen.

 

Als ich als Kind zum ersten Mal in einer anderen Stadt war, in Baumholder, frug ich, wo ist der Rhein, wollte ich zum Rhein gehen. Ich konnte mir eine Stadt ohne Rhein nicht vorstellen, so etwas Bodenloses, Flußloses im Nichts, in der Leere einfach gelegen, unverankert hin-und her verstreut. Der Rhein war mir Orientierung, Richtung und Findung. Er gab mir stets an, wo Norden und Osten ist.

 

Im hohen Alter ist mein Vater täglich stets zum Rhein noch gegangen, saß auf der Bank sommertags mit seinem Fernrohr, Strom und Schiffe zogen an ihm vorrüber, der er schon in einer Welt war, in der der Strom nicht nur den Tag, sondern auch die ganze Kriegs-Kind- und Lebenszeit dieses alten, wenig sich nur noch mitteilenden Mannes durchschwamm.

 

Als mein Vater starb, hatte ich ausgerechnet, unbedacht das neue Grab auf dem Steilfriedhof für ihn ausgesucht, wo er nicht  zum Rhein hin sehend lag. Im letzten Moment merkte dies meine Mutter. Den Sarg nochmals in seiner Richtung ändern, da er ja noch nicht zugeschüttet war  ? Es wäre möglich gewesen, man hatte hier Verständnis für sowas. Doch mit rheinischem Humor tröstete und versöhnte mich einer meiner Brüder, wir werden ihm einen Rückspiegel ans Grab machen, dann kann er ja den Rhein sehen.

 

Unsere Schnellfahrt durch unsere Rheinbetrachtungen geht zu Ende. Unser Ziel haben wir nicht erreicht. Bei allem Tempo unseres Rheinpfeils, reicht unser zügiges Vorgehen doch nicht mehr für die ernsteren und stilleren Betrachtungen von Hölderlins und Georges Rheinsichten. Dies wäre ein anderer Vortrag und doch paar Worte :

 

Ihre Texte werden über das baldige Jahrhundertende hinaus lange noch wirken. Es sind Texte ganz anderer Art als bisher besprochen. Sie haben nicht die Sorge mancher Rheinreisebeschreiber, welche Schreibutensilien und -stifte man denn entwickeln müsse, damit man in der Tasche unbemerkt schnell alles notieren könne auf der Reise, um ja nichts zu versäumen. Ihre Sicht ist tiefer und der Tagespolitik enthobener. Keinerlei romantische Beschreibungen und pittoreske Ortsansichten finden sich in ihren Gedichten .

 

Hölderlin versucht nach und trotz Hegel noch einmal Poesie zur höchsten Weise der Wahrheit zu machen. Heine stürzt sich dagegen anders in die Veränderung der Verhältnisse, in die realistische Fülle von Alltag, Ironie, Meinungskampf, Prosa auch und Presse.

 

Hölderlin wird der freigeborene Rhein zum Schicksalsfluß, dessen Ursprung und Lauf  ihm tiefe Einsichten über Leben und Dichtung überhaupt vermittelt.

 

Lesenswert sind hierüber sowohl Gisbert Lepper als auch der bei diesem verschwiegene Philosoph Martin Heidegger. Dessen Marburger Vorlesungen über Hölderlins Rheintexte sind faszinierend, auch eine Kritik an der Blut- und Bodengermanistik findet sich darin, obwohl Heidegger dem Dritten Reich wohl nicht immer so kritisch gegenüberstand wie sein Marburger Kollege Max Kommerell, der in Marburg immer mit zwei Taschen zur Uni ging, um jedem drohenden handerhobenen Hitlergruß somit entgehen zu können.

 

Stefan George, der für seinen Kreis die Stimme des Rheins selber geworden, ihm ist der lebensgrüne Strom Ursprung, Idendität, römischer Hauch, eine kulturelle Findung auch von Norden und Süden, eine Heim-und Rückkehr, ein Gefährte, aber stets immer auch sinnstiftend und richtungsweisend. In seinen Rheintafeln, ist die Krone im Rhein vielleicht die Dichtung selber, die gehoben werden kann. Wie der Strom schaut Stefan George nicht zurück, um im Vergangenen zu verharren, sondern öffnet sich neuen Horizonten. Neuanfang und neuzuerrichtendes Morgen ist der Rhein ihm immer auch stets. Gemeinschaftsstiftend, lebensgestaltend und schöpferische Kraft. Wie Hildegard von Bingen Atem Gottes hier am Rhein ja auch war. Der Strom bleibt ja immer der alte, und fließt doch stets neu in seiner felsigen Bahn.

 

Böll schreibt mal, „ kennen den einen nicht, der so rheinisch war wie kein zweiter, Heinrich Heine, und den anderen nicht, der so rheinisch war wie kein anderer, Stefan George; zwischen den beiden fließt der Rhein, liegt die Loreley;     können die Ufer eines Flusses weiter voneinander entfernt  liegen ?“

 

In seinen wenigen Texten über den Rhein unterteilt Böll den Rhein in den ihm näheren niederrheinischen schwermütigen Schnapstrinkerwein, mit Hochwassergefahren, und in den Weintrinkerwein. Vom letzteren nur, vom Weintrinkerwein, war hier die Rede. Doch kann auch der ganz unromantisch gefährlich sein. Vor Generationen rollte ein kleines Kind meiner Familie in seinem Wägelchen in den Rhein und wurde nie mehr gesehen oder geländet.

 

Hier in St. Goar als Fahrschüler, der ich die Zeit bis 14 Uhr Zugabfahrt zu überbrücken hatte, spielte ich mehrmals im Hinterhaus der Apotheke mit einem Klassenkameraden Tischtennis. Die alte Empire-Apotheke war dort auch abgelagert, die jetzt hier im Museum zu bewundern ist. Wir hörten immer dabei : „I can get no satisfaction.“ „I can get no satisfaction“. Paar Jahre nach dem Abitur ist mein Klassenkamerad mit einem Ruderboot hier verunglückt und ertrunken. Der Rhein hat ihm allzu früh sein junges Leben genommen. Ihm, Gerhard Meyer, möchte ich hier die Aufzeichnugen widmen und seiner gedenken. Heil und Humpen!