Sizilianisches Tagebuch
|
Auszug
|
Fotos : Karin Roth Text : Friedrich G. Paff
|
|
|
|
Die Säule der Wahrheit
In all den Tempelsäulen bin ich die Schrift die niemand liest die Menschen stellten auf mich Gott aber schuf mich Jahr für Jahr verwitterte mein Stein in Regen und in Wind und jeder Tropfen meißelte und jeder Windstoß fing sich und höhlte aus fein Korn für Korn ich wurde ausgeschwemmt kein falscher Schutz der Kalk er löste sich der Sturm er pfiff an mir vorbei die Dauer der Vergänglichkeit nun bin ich Haut porös Membran steinerne Harfe Gesang der verschwindenden Zeit Säule der Wahrheit Säule des Winds denn niemals ist die Wahrheit glatt poliert nur Marmor Glanz die Wahrheit ist verletzbar ein Säuseln nur im Wind ein Sprechen mit dem Tag, der Nacht ein Hören stumm in Raum und Zeit nichts ist da Wahrheit was nicht angreift Haut, Schutz und Stein unter die Haut legen sich uns die Blicke nichts ist da Wahrheit was nur zeitlos ist die Wahrheit greift dich an verändert dich verletzt dich auch und schafft dir neue Haut Poren die mehr fühlen, blicken, sehen nackt steh ich vor dir rage auf ausgeliefert allem und doch unbeugsam stolz
Säule der Wahrheit Säule des Winds
|
|
Wir sind die Tempel die wir selber bauen an Wand und Fels an Berg und Höhenrand tief in uns ist das Maß das weiß genau was da vollkommen ist geschlossen eine Mitte ohn ein Zuviel ohn ein Zerfliehn die Strenge eines Säulengangs die Einfachheit gebannter Stille wir sind die Tempel die wir selber bauen durchschreiten eine eigne Mitte sich nicht verlieren im Gestrüpp, Gestein in Höhe oder Tiefe nur wir sind die Tempel die wir selber bauen und Körper Seele Augen Blick sind eins
|
|
Wir tragen nichts mehr fern das Dach der Götter die Altäre sind verwaist die Welt steht offen zwischen Säulen durch die der Wind hinpfeift und unsre Seele sucht sich Häuser nur und nun aus Glas und Zelluloid doch sind wir selbst noch frühe Suche so sind das Spiel wir selbst der Götter heiligstes Vermächtnis das durch die Haut durch alle Poren tritt der Zauber der Verwandlung die stets Veränderung ist die allein durchbricht die Masken falschen Schein uns Auge erst Gesicht uns gibt dann werden wir die nie wir nur vergangen sind dann werden wir der Götter heiligstes Vermächtnis
die Metamorphose die uns Feuer ist
aus deren Asche stets wir neu verwandelt uns erheben
Adler und Rabe
Pegasus und Phönix
zugleich
|
|
Dies ist der Spiegel der uns alle trifft wir wissen nicht ist es ein zweiter Baum oder nur ein Schatten der sich an die Wand hinwirft an welchen Mauern spielt sich unser Leben ab und welche Steine aufgehäuft fielen auf die Wurzeln schwer welches Astwerk öffnet uns die Welt das weite flache grüne Land und silbergrau und distelgleich der Tod leckt blattlos all das ferne Grün
|
|
Die lila Kardinäle tanzen auf Kakteen und singen Tod wo ist dein Stachel und spüren tief im Fleisch verboten ganz die Lust
|
|
Wir sind zwei Bäume weiß, blaß, grau nackt Rinde, Astwerk hängend Blätter tief Wächter hier des Tempels Ruhestätte nur eine Säule das ist Götzendienst doch zwei wie vor dem Tempel Salomos eröffnen ganz den Raum den Himmel und die Leere die Spannung zwischen Leben Tod sind Ein- und Ausgang zwischen tiefen Polen die Spanne die uns bleibt einzutreten in das was uns erahnt Geheimnis tiefsten Suchens wenn plötzlich alles ist ein Finden und war schon immer da und wird auch immer sein und eingebettet unser Atem ist schwarzer Rabenflug der alle Nacht durchdringt und plötzlich vor uns ist ein Tag voll Helle gebärt sich neu ein Du das immer auf uns zukommt und in dem wir ganz uns selber sind
dies ist das Geheimnis tiefsten Suchens das ich immer lebe auch im andern dies ist das Geheimnis tiefster Trauer dies ist das Geheimnis höchsten Glücks
|
|
Zähle die Mandeln nicht Zähl auch mich nicht dazu das Gespräch mit den Bäumen nicht über sie endet nicht solange ein Baum blüht noch und Früchte trägt Zähle die Mandeln nicht Zähl auch mich nicht dazu in der hellen Kirsch- und Mandelblüte schon die Schwärze des Tods der Wind fegt hinweg weiße rosa Saaten kommenden Tags wir die wir trennen nicht die Bitternis und die Süße die wir uns stellen dem Tag und der Nacht in unseren Händen flechtet der Tod die Helle einer Ankunft in unseren Feuern all der vergessene Rauch die nie verglühende Asche und unsre Worte löschen aus die Schatten nicht
Zähle die Mandeln Zähl auch mich ganz dazu
|
|
Die Erdbeben stürzen die Tempel in den Schoß der Erde zurück wie Bauklötze liegen Säulen und Steine im Staub Spielzeug der Götter die vom Himmel her lachen
doch noch immer lieben die Unsterblichen findet ein Finger die Nähe findet ein Mensch ganz zu sich die Spanne Himmel unterm Aug
|
|
|
|
Und Aphrodite nackt in jedem Schaum des Meeres wird sie neu geboren das Salz der Wogen frißt sich in den Sand der Wind peitscht weiße Fleckenschrift die löscht sich aus dann ganz im Nu und aus der Tiefe ganz der Erde speit der Vulkan die Asche und den Feuerregen Gestein und Fels bizarr graslos porös ein Flecken Erde neu entsteht und ist doch ganz das alte Paradies das Spiel der weißen Gischt die Weite und das Meer die Sonne hitzt sich auf im trocknen Lavastein
|
|
|
Empodokles vor dem Feuer des Ätna |
Unsere Liebe ist eine Parabel |
|