Karpatische Stille

 

 

 

Ein Buch über den Rhein und die uralte Stadt

 

Bacharach

 

(Auszug)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Friedrich G. Paff

 

 

 

 

> ......ja, mach eine CD: Verlorene Heimat

> .....Du hattest dort eh nie eine

 

*

 

das nicht sehen zu können ist meine Blindnis

 

meine kreative Blindnis, die das nie zugeben will, nie zugeben kann, die nicht sehen kann, was war und ist, die Heimat sucht selbst unter dem Augenlid des Vergasten noch ...

 

*

 

Deine Heimat, Nachttier,

sie ist dort,

unter dem Augenlid des Vergasten.

Hör auf sie zu suchen

in Bacharach.

 

Dein Nachttier

 

*

 

Heimat

das ist

unter dem Augenlid

wo kein Mensch

mehr hinsieht

aus dem Dunkel heraus

wächst dir die Hand

die sich nicht zurückzog

von den vergast Vergessenen

weißt du

in dieser Umarmung der Stille

sind nie wir allein

und doch

dieses Zittern

wer hält es je aus

das Beben

das allein nur entziffert

die Flammenschrift an der Wand

 

ein Brennen

das nie jemand mehr löscht

 

ein Pfeil

der schießt durch Lämmer und Wölfe hindurch

 

mitten in die Nacht deiner Ankunft

 


*

 

Dies ist die Stille zwischen uns

das wir ein Land erfinden

wo keine Trennung ist noch Körper, Zeit

wir gehen durch alle Wände nur hindurch

und sammeln was der Sturm daniederwarf

dies ist die Stille zwischen uns

wo türlos Traum und Tag durchmischen sich

dein Fuß ist handbreit neben meinem Ohr

und unter deinem Fingernagel schlägt mein Herz

die Zungen sind ein Spiel uns einer Sprache

die von verstummten Lippen sich nie wegbeschwor

das Schweigen wortlos ganz

dies ist die Stille zwischen uns

 

*

 

und zünden ein Feuer

in der Nacht des Vergessens

 

 

unsere Seele

hat einen Flügel

zerreiß ihn mir nicht

 

*
 

Es gibt zwei Möglichkeiten der Erinnerung zu entgehen,

zu entfliehen :

 

Wahnsinn oder Normalität

 

 

*

 


 

Vorspann :

 

 

In dem namenlosen Kriegerdenkmal von später zugefügten Stahlhelmen bewacht werden in dem Sandsteingral oben die Opfer gegenseitig ausgepokert, aufgerechnet, aufgezählt und vermischt. Bis nichts mehr sich bewegt, kein Stein des Anstoßes mehr, abgesegneter Frieden, da bedarf es keiner Zeit des Nachdenkens mehr.

 

In den Darstellungen der Jugendherbergen und Burgen, kaum etwas vom Ursprungsgedanke, vom Leben des alten Wandervogels, der bündischen Jugend, meist nur HJ und Runen. Das erfreut die benachbarten Heimatfreunde wohl.

 

Was passiert, wenn man die Heimat den sogar mitinitiierten Geschichtsvereinen und den sogenannten Heimatfreunden überläßt ?

 

Die im ersten Weltkrieg sterben lassen sogar den, der im zweiten vergast.

 

Die Achtung vor der Geschichte, ihrer Vielfalt, ist untergegangen in grenzenloser blinder Selbstdarstellung, eitler nicht nur mittelalterlicher Nabelschau.

 

Wer die Schatten nicht aufzeigt, verliert am Ende die Sonne.

 

Wer an seinen Wahrnehmungen nichts ändert, nimmt auch nichts wahr. An ihm gehen scheinbar nicht nur die Kriege spurlos vorbei.

 

Ein Weltkulturerbe, das sich dem nicht stellt, was es denn angeblich beerben will und nur deswegen vereinnahmen kann, weil das zu Beerbende abgestorben schon längst.

 

Fassadenschieber Heimat. Kulissenjongleure.

 

 

Mit Victor Hugo und Heine hausieren gehen zu wollen und  Gegenwart und Literatur Atem nehmen zu wollen.

 

Auch die Sprache ist ein Tanz. Ein Tanz aus dem Mummenschanz heraus.

 

 

Ihr Jubiläum ist immer eins, das noch kommt, wenn jemand die Flaschenpost öffnet, die in eigener Zeit  tief sich bewahrte, verschloß.

 

 

 

 

 

 

 

 

Von Dohlen durchflogen

 

 

 

 

Besuch mich hier, wo mein Bacharach ist.

 

Du weißt, es ist da, wo die Sonne langsam die Schatten über die Mauern zieht, wo der Fluß unter den Weidenkätzchen den Schiefer benäßt.

 

Ein Nachen wartet auf uns. Ein leerer Nachen. Ruderlos.

 

Er führt uns zur Insel, die selber wir sind.

 

Nachts rankt der Mond sich am Efeu empor, die alte Eule schlägt nur noch selten ihr Auge auf, das Gras ist noch niedergetreten, barfuß gehen wir durch die Tore verlorener Burgen oder in die Kapelle hinein, die ohne Dach offen dem Abgrund der Sterne.

 

Ihre schlanken hohen Fenstergerippe lassen den Himmel höher noch ragen.

 

In der Altarnische zuckt eine Eidechse.

 

Deine Hand faßt die meine.

 

Unsere Finger wachsen durch den Sandstein hindurch.

 

Wir berühren die Stille hinter den Dingen.

 

Tauchen hinab in den Strom.

 

Das Abseits durchwandern wir.

 

Die abseitige Welt wir flechten sie Grashalm für Grashalm.

 

Wenn wir ankommen, wissen wir, hier waren wir seit je.

 

Wir spüren den Atem, der für immer sich auf den Staub gelegt.

 

Unsere Uhren sind zeigerlos längst.

 

Zifferlos durchlaufen wir das runde Weiß eines für immer beginnenden Tags

 

Wir sind Morgen denen, die aus der Nacht nicht aufwachten mehr.

 

Wir schieben sie nicht weg, die man wegschob.

 

Unsere Heimat grenzt niemanden aus.

 

Auch wo wir uns ganz alleine sind, sind wir uns doch nicht allein.

 

Unsere Sprache häutet uns ein mit den Toten.

 

Sie leben in uns.

 

Unsere Worte sind ihre Zungen auch.

 

Wir sind leicht. Ganz leicht. Schwerelos.

 

Und doch, nur so wurzeln wir tief.

 

Wir treiben dahin und haben doch Grund.

 

Mitten im Sog sind wir der Stillstand der Zeit.

 

Das, was wir uns schenken, ist etwas,  was abhanden gekommen, Geheimnis und Gabe, seltene Nähe.

 

Nähe die alles durchbricht, jeden Bann, pochender Atem, Durchbrechen der Bilder, fessellose Stille.

 

Ein Feuer wir sind.

 

Ein brennender Flug.

 

Schweigende Feder. Für immer verharrender Stein.

Komm mit. Besuch mich in diesem Bacharach, das auch du geschaffen.

 

Das nicht irgendwo ist, sondern immer entsteht neu ganz zwischen Berg, Ufer und Strom.

 

Von Dohlen durchflogen.

 Dächer, von der Sonne beglänzt, vom Mond bespiegelt auf naßkaltem Schiefer.

 

Wir haben sie wirklich gefunden eine,  unsere Heimat.

 

Wie Carus damals. Byzanthinische und neue Zeit. Blick und Vergleich auf die enggassige Stadt am Berg, auf das alte und neue Jerusalem.

 

Heimat, sie ist da wo die Dinge sich öffnen.

 

Wir tragen sie mit uns im Herzen.

 

Wie der Bacharacher Jud Eichberg, der nach Jahren aus Amerika kurz zurückkam.

 

Wir tragen sie überall hin.

 

Heines Rabbi wirft auf der Flucht das Gold hin, das silberne Waschbecken, aber Thora, Schrift und Wort läßt er nicht hinter sich.

 

Nichts gibt’s hier zu beerben. In aller Welt nicht. Keine künstliche Walt Disney Kultur.

 

Heimat das ist Anfang uns stets.

 

Anfang einer Nähe, die zwischen uns wächst, vertraut uns macht, aufhellt die Schatten.

 

Wir tanzen mit denen die hier lebten, mit denen, die hier starben.

 

Wir trinken den Wein der Liebenden, auch derer, die einander nie gefunden oder durch Krieg und Verfolgung getrennt.

Wir sind die Schritte der Deportation, die zurückfinden.

 

Die Korrektur der Denuntiation.

 

Der stolze Blick aus den Verwerfungen und Schmähungen hinaus.

 

Das Ende der Gerüchte, die sich erhitzen zum Haß.

 

Wir geben Namen denen die Rauch.

 

Weil wir uns aus den Lügen und Fesseln der Worte befreiten, tauchten ins Namenlose hinab, kalt, untergingen an jeder Stelle des Stroms, Grund nicht mehr zu suchen dort, wo kein Grund mehr ist, können wir wieder benennen, wachsen uns wieder Grashalme, Worte und Namen entgegen.

 

Weil wir wissen, die Würde des Worts ist in den Blendungen nicht, ist im Stammeln entmündigter Lippe.

 

Wir haben die Spiegelungen abgelegt, Facetten der Feigheit, nackt triefennaß stehen wir da, die Entmündigungen der Welt erreichen uns nicht mehr.

 

Für immer haben die Mauern sich geöffnet.

 

Die Tore der Festungen und Anstalten daniedergewälzt.

 

Komm Räbin, Schwalbe, Dohle flieg mit mir.

 

Setz dich auf die Dächer meines, unseres Bacharachs.

 

Laß uns fliegen zu dem alten Sämann auf dem Friedhof ganz aus Stein.

 

Der sät den Toten noch tief in die Erde hinab Sekunden des Glücks.

 

Laß uns fliegen zu den Toten dieser Stadt, denen kein Grab hier wurde, Abhang dann, nur falsche Asche.

Laß uns durchzittern ganz den Tag und auch die Nacht und spüren diese Kraft, für die es keinen Namen gibt, weil Namen schon ein Vergessen sind, wir aber sind noch diese Kraft, die Stille ist und Zittern, tiefes Beben, die Atem ist und Flügelschlag.

 

Die Heimat ist.

 

Die Ankunft ist.

 

Der Flug dorthin. Zur Gründung einer neuen Stadt, die abgelegt alle falschen Kaiser,  Etikette, Jubiläen.

 

Die neu erwacht. Von Fels und Strom bewacht.

 

Fahr Schiffer mich, flieg Schwalbe mich du Zauberin zu diesem Bacharach.

 


 

Am Tisch mit den Haien

 

 

....

 

Krähendurchflogene Fotos

 

...

 

 

Der Tod reitet in Flandern

 

 

...

 

 

 

Dohlenhäutige Sybille

 

...

 

 

Spinnen auf Porcellan

 

 

 

Auf den sommertags trockenen heißen Speichern, die die Luft dir fast nehmen, so aufgestaut ist die Hitze unter den Schieferdächern, Kästen von Uhren und Werkzeug, verrostet, verstaubt und poliert glänzend dann wieder.

 

Spinnen kriechen über die Porcellanzifferblätter hinweg.

 

Kleben ihre Netze an die Zeiger, überziehen Unruhe, Ankerwerk und Gehäuse.

 

Die Schlüssel zu den verlorenen Uhren werden wir sie je finden ?

 

Keiner zieht die Zeit mehr auf.

 

Welche Zeit haben sie je gemessen ?

 

Zitterte die Hand oder blieb sie ruhig, die dieses Werkzeug je hielt, feilte, schliff, drehte.

 

Auch der Vergaste hielt dieses Werkzeug in der Hand.

 

Er war nicht 19, jugendirr wie mein Vater falsch angab.

 

Er wurd fast 50 -?nachgucken- und hatte den Beruf ganz gelernt und ausgeübt. Ein Uhrmacher, der austickte dann. Mit demselben Werkzeug, das auch er benutzte, mit dem Werkzeug meines Großvaters ging mein Vater nach Holland, Haarlem und lernte Uhrmacher bei dem alten ten Boom, der Juden versteckte dann und dafür mit einer seiner Uhrmachertöchter Betsie umkam. Er in Schwevenigen. Sie im KZ Ravensbrück. Tocher Corrie, auch Uhrmacherin, überlebte das KZ.

 

All die verstaubten Uhren hier, Kuckkuck, am schönsten aber die Empire-Uhr, Spinnen laufen über ihr schlichtes dezentes Zifferblatt..

Komm wisch den Staub ab, Uhrmacher haben immer gereinigt, gereinigt nur und gelötet, unterm Werktisch klitzekleine Teile gesucht, selbst mit einem blinden Aug noch und erfrorenem Finger in Stalingrad, komm wisch den Staub ab, sieh dieses Weiß des Porcellans, es blendet uns in all dem Staub, weiße unberührte Stille.

 

Zeiger sind nur schwarze dünne langbeinige Spinnen, Spinnen-männchen vielleicht, die kriechen sinnlos über es hinweg, sie messen weder Leben noch Zeit.

 

Unsere Zeit ist, bevor diese Spinnen ihr Werk beginnen, überziehen alles schwarz hektisch meßbar.

 

Unsere Zeit ist das Weiß, das nicht meßbare Weiß, die unendliche Stille außerhalb der Zeit, die erst sieht und wahrnimmt alle Kontraste.

 

Wer mit sovielen Uhren aufwuchs, glaubt nicht mehr an sie. Das ist wie mit Pfarrerstöchtern.

 

Es gibt nicht nur die pingeligen, akkuraten, kleinkarierten Uhrmacher, es gibt auch die, mein Vater gehörte zu ihnen, die noch spüren das Räderwerk der ersten Renaissanceuhren, die die Zifferblätter auswechseln, rückwärts die Zeiger schreiten lassen und nachts am Rhein am Sternbild des großen Wagens ihre Zeit sehen und nicht zu messen versuchen angesichts der unbegreiflichen unfaßbaren unermeßbaren  Unendlichkeit.

 

Meine Tante Taria besaß keinerlei Uhr.

 

Nur die alten, die nicht gingen sowie einen roten Wecker, der nur aufgezogen wurde, ging sie mal auf Reisen.

 

Und um 11 Uhr läuten hier vormittags die Glocken immer und je nachdem wo man wohnt, hört man das Schlagen der Kirchturmuhr. Die Hähne St. Peters aber kreischen hier nicht mehr auf Turmesspitze. Es scheint keinen Verrat hier mehr zu geben.

 

Genauer aber sind die Geräusche auf der Straße, die Helligkeit, die kurz über die engen Gassen streift.

 

Auch du bist Uhrmacherin, Therapeutin, und reparierst vergeblich den Leuten die Zeit, nein, schenkst sie ihnen wieder neu, wenn sie sich wieder gefunden.

 

Die eigene Zeit wer hat sie je gelebt hier ?

 

Sie leben noch in der Zeit der Staufer, der mittelalterlichen Märkte, den Franzosenhaß haben sie überwunden, die Pickelhauben noch nicht.

 

Sie leben in der Zeit derer, auf die sie hochschauen, die sie verwalten, gruppieren, katalogisieren, katastermäßig kastrieren, aufstellen lassen in Reih und Glied.

 

Die Fußballweltmeisterschaft rettet sie jetzt für die nächsten Monate, dann kommt was Neues.

 

Sie leben in der Zeit derer, die ihnen sagen, was denn die Uhr nun geschlagen, Volk ohne Raum, Globalisierung, welche Zeit ist, zu sein hat, wen sie zu hassen haben, wen zu diskriminieren, wen sie zu respektieren wieder, aufzuarbeiten.

 

Versöhnung wird anbefohlen.

 

Aber es ist nicht nur feierlicher Lack, touristisch verwertbar. Vieles ist anders geworden. Die Chance wäre da.

 

Ich weiß, du glaubst es mir nicht. Du sagst, sie ändern sich nie.

 

Aber wir. Wir ändern uns. Merkst du es nicht ?

 

Es werden ihnen hier immer neue Uhren geschenkt. Empire-Reiche und Utopien. Napoleonische. Kaiserin Auguste stiftete sogar eine Bibel. Die Nazis stellten ihr Symbol auf die höchste Höhe, damit es den Umerziehenden auf der Burg Stahleck täglich vor Augen.

 

Jetzt beleckt sie das Weltkulturerbe. Sie sind mitten drin. Was sie aber darin sind, wissen sie nicht.

 

Museumspuppen haben meist keine Uhren am Arm.

 

Und sie brauchen doch Uhren. Uhen und Brillen. Wovon sollte mein Vater und Großvater sonst leben ?

 

Sie brauchen doch Uhren. Sonst würden sie entdecken die eigene Zeit, die ihnen nicht vorgemessen, auch von Geschichtsvereinen nicht. Aber die Digitalisierung ist tiefer geschritten durch Handy und Computer hindurch.

 

Der alte ten Boom der liebte noch Uhren, sein Handerk und die alten wandernden Uhrmachermeister. Vor der Arbeit wurde stets aus der Bibel gelesen. Es gibt keine Zeit, die nicht in Gottes Hand steht, selbst sollten alle Uhren stehen bleiben, selbst wenn die Finsternis überhand nimmt.

 

Auf den Fotos hier siehst du den alten ten Boom aufrecht würdig mit Bart auf Stahleck, in Rheindiebach, in Steeg. Seine Tochter dabei. Ist es Corrie oder Betsie ? Wer noch ?

 

Ihr kleines Uhrmachergeschäft ist Museum jetzt, die Beje. Ich habe einen Silberlöffel davon und eine Kachel. Ich werde dort anfragen.

 

Seine Tochter Corrie überlebte, schrieb viele Bücher, missionierte in der ganzen Welt, einen Film gibt es, die Zuflucht.

 

Am Ende des Briefes lange nach dem Krieg an meinen Vater nach all dem Schlimmen schrieb sie, was macht das Geschäft ?

 

Uhrmacher bleiben doch gleich.

 

In den Biographien wird die Reise an den Rhein nach Deutschland nicht erwähnt.

 

Der alte ten Boom auf dem Foto hier, ahnte noch nicht, daß dieses Deutschland bald ihm eine Reise bescherte, von der es kein zurück mehr für ihn gab.

 

Man darf seine Hand nicht gegen die Juden erheben. Mahnte er immer. Sie sind das Volk Gottes.

 

Er ist der einzige deutschsprachige, Holländer er und Uhrmacher, der seinen Rabbi,  Heines Rabbi von Bacharach richtig verstand.

 

Er interpretierte ihn nicht.

 

Er beherzigte ihn.

 

Rettete Leben, rettete Juden und bezahlte mit seinem Leben dafür und mit dem seiner Tochter Betsie.

 

Jetzt sind alle auf den Fotos tot. Mein Vater bekam von Holland noch eine kleine Rente.

 

Ich werde die kleine holländische Bibel dir zeigen, ich muß sie suchen, sie ist so klein, die der alte ten Boom meinem Vater schenkte.

Meinem Vater war sie heilig, er nahm sie immer mit, wenn er länger ins Krankenhaus mußte.

 

Es gelang den ten Booms solch eine kleine Bibel ins KZ zu schmuggeln, aus ihr Trost spenden zu wollen.

 

Selten war das Verhältnis von Juden und Christen so geglückt wie bei den ten Booms.

 

Doch die finstere unerbittliche Zeit mit ihrer Verblendung vermochte dies nicht zu dulden.

 

Heines Rabbi, Heines Klagelied, das er im Buch der Lieder, seiner Loreley, noch einmal beschwört, das den Namen Bacharach in alle Welt trägt, brich aus in lauten Klagen düstres Märtyrerlied so lange getragen im flammenstillen Gemüth. Ja. Es werde nicht nur in die Ohren, sogar ins Herz dringen, meint er sogar. Sogar die kalten Herren werden weinen. Meint er dies wirklich der Zyniker ? Eher weinen am Himmel die Stern.

 

Von all den alten Ausgaben ist mir ein Exemplar des Rabbi am liebsten, dieses hier, dessen erste Seiten angesengt und dessen Buchdenkel überzogen von Brandspuren, die Ecken schon weg, und doch überstanden unselige bücherhassende Zeit.

 

Heines Rabbi blieb Fragment.

 

Ein Klagelied kann nur Fragment bleiben zerbrochen, zersplittert.

 

Sonst wäre es keins.

 

Es gibt keine vollendeten Klagelieder.

 

Nichts hebt den Schmerz auf.

 

Celan spürte das mit dem Mißbrauch seiner Todesfuge, mit der alles zugefügt, zugefugt wurde.

 

Leid verträgt alles.

 

Nur keinen Lack.

 

 

 


 

Das Geheimnis des Lebens

 

 

...

 

 

Ahnen und Asche

 

 

...

 

Ein weißes Feuer

 

...

 

 

DerTaube und die Tänzerin

 

...

 

 

 

 

...dort liegt wie eine schaurige Sage der Vorzeit, die finstre, uralte Stadt Bacherach. So der Blick Heines.

 

Aber auch Victor Hugo in ähnlicher schaurig schaudernder Faszination : ich befinde mich in diesem Augenblick in einer der schönsten, angenehmsten und unbekanntesten Städten der Welt...Bacharach ist wohl der älteste von Menschen  bewohnte Ort, den ich in meinem Leben gesehen....Diese alte Feenstadt, wo es von Sagen und Legenden wimmelt ......die alte ernste Stadt, die einst römisch, dann romanisch gewesen, endlich gotisch geworden, aber nicht modern werden will...den düsteren Einklang des Ganzen. Hier wirkt alles zusammen, selbst der Name ‚Bacharach’ wie ein alter Ruf der Bacchanten, dem Sabbat angepaßt....In Bacharach, wenn Mitternacht gekommen, legt man sich nieder, läßt die Gedanken fallen, die man tagsüber mit sich herumgetragen, man gelangt zu jenem Moment, da man etwas Wachendes und Schlafendes in sich vereint ...

 

In diesen Momenten waren Quasimodo und Esmeralda auch hier.

 

Siehst du das Tamburin noch, zu dem die weiße Ziege tanzte, seine Haut wie sie spannt sich gefügig unter Esmeraldas zart und wild schlagenden Fingern ?

 

Der stille Wilhelm träumt noch immer von der schönen Sarah, der Frau des Rabbi, die nachts für immer die Stadt hier verließ. Ihr Bild blitzt, schwebt noch immer dem schüchternen Wilhelm im Aug.

 

Brentano am steinigen Ufer sucht noch immer seine Udine. Er, der zum ersten Mal den Namen der Stadt und den der Loreley in die Weltliteratur brachte.

 

Zu Bacharach am Rheine wohnt eine Zauberin.

 

Die Wellen vom Mondlicht beschienen zeigen ihm ihr im Strudel versinkendes Haar.

 

An diesem Fels klebt noch ein Haar.

 

Ein goldenes Haar, die Fische trugen es noch nicht in ihrem schweigenden Maul hinweg.

 

Dieses Gras ist noch zertreten von der letzten Heylesse, der Inselfrau, die barfüßig ins Wasser für immer hier ging.

 

Die Krähe dort träumt noch von den morgendlichen Umarmungen der Nebelfrau, deren weiße Arme langsam nur sich lösen.

 

Noch liegt unberührte Stille auf dem Tal.

...

 

 

Hummer in New York

 

 

 

 

Du hast Bacharach nie betreten. Ich deine Heimat nie. Und doch wir tragen sie in uns. Ich merkte, was dir fehlte.

 

Hummer in New York. Tauben in Venedig. Die Fischerhütte in Litauen. Das Licht im Wallis und in der Provence. Die weiße Kirche von Wladimir. Die Höhlen von Slowenien. Die Grachten von Amsterdam. Friesische Kälte. Italienisches Meer. Die antiken Stätten Antalyas. Notre Dame von Paris. Yport. Eggelingen. St. Paulet de Caisson. Bled. Umag. Das Haus mit den 5 Fichten Kilometer 32 an der Grenze zu Ligurien.

 

Bielefeld. Langendreer.

 

Wo immer wir eine Ecke finden, ein Café, ein Platz am Meer, eine Bar an einer Kreuzung, nachts im Desperado oder in diesem spanischen Keller, offen einer Begegnung und auch zurückgezogen in uns.

 

Heimat ist dort, wo was uns vertraut wird, doch schwingen immer die alten Erfahrungen, Enttäuschungen, Hoffnungen mit. Nähe wird.

Die Antennen dafür bringen wir mit die stillen offenen Fühler, du aus Rumänien, ich vom Rhein her.

 

Die Schatten unserer Heimat suchen und finden die Ankunft.

 

Hier wäre ein Glück. Hier ist ein Blick noch ungetrübt. Stechend auch und offen ganz.

 

Und lassen bestehen, was anders ist, sehen dies, vereinnahmen es nicht.

 

Sich selbst kann jeder nur finden.

 

Und findet sich doch nur im andern.

 

Gegensätze ziehen an. Gleiches stößt ab.

 

Gegensätze stoßen ab. Gleiches zieht an.

 

Es wechselt das Spiel.

 

Nähe und Ferne zugleich. Beides zu sein. Die scheue Distanz zwischen uns, die Berührung erst schafft.

 

Da ist es egal, wo wir uns befinden.

 

Wir tragen die Steine mit. Die im Bernstein eingeschlossene Träne. Den weißen Kiesel vom Rhein. Den schwarzen von den Karpaten.

 

Ich bin dir nah, auch wenn du ganz woanders weilst. Und trinke mit dir, wenn dein Blick das Meer streift.

 

Du bist mir nah. Auch wenn ich mich allzu verlier.

 

Wir haben gewonnen.

Wir haben verloren.

 

Wir rechnen nicht nach Gewinn und Verlust.

 

Wir haben nicht aussortiert, was wir verloren .

 

Wir tragen die vergessenen Schatten der Heimat mit.

 

Die Sprache. Die Steine. Das Schweigen.

 

Die nicht erwähnten, die vergessenen stets, deren Namen nicht genannt bei den Fotos.

 

Der Rhein strömt durch uns.

Der Schnee der Karpaten.

 

In der Fischerhütte Litauens war ich seit je.

 

Diese weiße Kirche hat immer schon auf mich gewartet.

 

Hadamar ist uns nah.

 

Und bleint es, auch in aller Stärke und Lebenslust.

 

Auch wenn Feuer wir ganz sind, vergessen wir nicht den erkalteten Rauch.

 

Laß uns tragen die Asche in die Sonne hinein.

 

Unsere Schwachheit uns wenden in die Schärfe schneidenden Grases, schneidenden Worts.

 

Sprache, das weißt du, sie ist uns Heimat geworden.

 

Auch mir, der ich als Kind so spät sie gelernt, zu sprechen nicht mochte, vermochte.

 

Sprache in ihr leben wir...auch wo keine Worte mehr sind.

 

Wir bringen die verlorenen Namen, ausgelöschten Ziffern durch das Vergessen hindurch.

 

Sie nehmen wir mit in die Tiefe des Schlafs

 

die erlaubt uns

 

auch andere Sprache zu sein

 

Sprache des Gras und der Steine

 

Ufer eines fernen Meeres

 

getrennt und doch

 

auf verschiedensten Gipfeln geeint


 

Das Knarren der Tür

 

 

 

Die Tür knarrt. Sie läßt sich nicht schließen. Fällt nicht zu. Er schmeißt sie zu. Tritt dagegen. Den ganzen Tag nur werden sie zugeschlagen die Türen. Andauernd. Keine Ruhe. Nur ein Hin und Her. Draußen Lärm. Autos, Hupen, Gekreische, Rufe, Geschwätz dazwischen. Alles hallt in den dünnen Wänden, engen Gassen hier. Immer wieder dasselbe Fluchen, auch vom Nachbarn her. Derbe Worte. Aus den übelsten stinkendsten Ecken heraus gegen Gott und die Welt, Himmel, Sakrament und welcher Körperteil auch immer dazwischen dann liegt, . Ausstoßen den Haß, den Zorn, die eigene Ohnmacht. Hilflosigkeit, es anders nicht sagen zu können, Starre, Wut, es anders nicht sagen zu wollen, es überhaupt nicht sagen zu können. Nichts das sich ändert durch diese Worte. Rache geschrien in die Leere hinein. Besser als seufzen. Geklirre. Gläser gehen zu Bruch. Scherben. Das Saufen hilft auch nicht weiter. Nirgends ein Weg aus dem Dilemma, dem Schlammassel, der Scheiße heraus. Die Decke fällt einem auf den Kopf. Der hölzerne Fußboden wankt von den aufpolterten Schritten, die Tritte mehr sind. Keinen Schuldigen finden für das was man nicht benamen mehr kann. Jeden Tag immer dasselbe. Niemand kommt hier je heraus. Abgestanden die Luft. Sommertags hitzig schwül. Wieder findet man nichts. Man weiß nich tmal, was man sucht. Und wenn, liegt es am Boden oder unter einem Schrank oder unter einem Stapel versteckt oder erst am Grunde der Kiste. Wenn es denn überhaupt da ist und nicht schon wieder verliehen. Leih keinem mehr was. Du bekommst es nie mehr zurück. Es macht sich nicht bezahlt. Die andern sind jetzt wer weiß wo, das wurmt dich besonders. Man kommt hier nicht heraus. Nie. Aus der Last. Aus der Schwere. Wer soll es sonst machen ?  Nieman harrt, hält es hier aus. Weil keiner auch weiß wozu. Immer dersselbe Trott, Zwang täglich, der nie enden je will. Alles geht nur zu Bruch. Sollen die Weiber doch die Scherben aufheben. Sie sind schuld eh. Sie hätten ja udn haben wiederum mal nicht. Wie immer. Nie kann man sich auf sie verlassen. Sie geben einem die Nähe nicht, die man braucht und um die man nie bitten kann, die man nicht einmal ertragen oder zeigen kann. Zu eng alles, alles aufeinander als das man nah sein kann, wo doch alles zusammenstürzt, zusammenstaut sich und jede Nähe doch nur Bedrohung ist, erstickt, erschlagen, erdrosselt zu werden. Nichts bleibt von einem übrig, enn sich hier alle austoben. Ins Leere hineinstarren, Brotkrumen zerbröseln,. Nicht einmal einen Hund, den man treten kann. Aber die Fliege an der Wand, muß die jetzt sein ?  Wie lange soll das noch gehen, es findet gar kein Ende mehr. Als gäbe es etwas danach. Als gäbe es eine andere Welt als die hier, aus der man nie herauskommen kann. Zu der man doch gehört für immer und ewig von Anfang an. Sitz ruhig, schütt nichts daneben, halt dich gerade, sei still, schau nicht hin, halt’s Maul, Schnauze, halt die Fresse, was willst du denn schon sagen ? Ist noch irgendetwas ? Hast du was gewollt ?  Wolltest du was sagen ? Wer glaubst du denn, wer du bist. Widersprich nicht. Schau mir in die Augen, wenn ich dir was zu sagen habe. Da muß erst mal ein anderer kommen. Ein anderer Windweht hier nicht. Nie. Du wirst deine Heimat doch nicht verraten wollen, ein eigenes Blut. Wo kämen wir hin, wenn jeder so wäre wie du, das kann doch nicht wahr sein, gehört sich doch nicht, was sollen denn nur die andern dazu sagen, und überhaupt, hast du dir das eigentlich schon mal überlegt, denk doch an die Folgen von dem, was immer nur schlimm enden kann, weil von Anfang an die Katastrophe schon da ist, alles zertrümmern zu wollen und doch nicht zu können. Du zerstörst nur dich selber dabei. Mach endlich Schluß. Hör auf damit. Du gräbst dir noch dein eigenes Grab. Den Sargnagel brauchst du mir nicht zu bezahlen. Du denkst ja immer nur ans Geld. Wer soll das denn alles finanzieren ? Von was wollt ihr denn leben ? Es bringt sowieso nichts. Ist alles zum Scheitern verurteilt. Morgen ist auch noch ein Tag, wo heute schon keiner ist. Irgendwann scheint mal wieder die Sonne, aber hier nicht. Die andern schaffen es ja, warum du nicht ?  Warum gehst du nicht hin ?  Zieh dir was Anständiges an. Streit nicht mit den Leuten. Du mußt es ihnen ja nicht sagen. Es kommt alles wie es kommen muß. Aber es kommt nie. Das hat deine Mutter auch schon gesagt.Du hörst ja nicht auf sie. Die Küken wollen mehr wissen als die Henne. Jeder bekommt seine Quittung. Du willst nicht. Das ist es. Du willst es gar nicht, sonst würdest du es schon tun. Aber da ist kein Interesse, keinerlei Einsicht. Du denkst nur an dich. Wir lieben dich doch. Wir tun alles für dich. Wollen nur dein Bestes. Das ist kein Umgang für dich. Draßen der Lärm geht einem ja auf den Wecker, das halten die Nerven nicht aus. Man hört ja nicht mal sein eigenes Geschrei. Iß auf, trink leer, räum die leeren Tassen weg,. Sitz nicht so herum. Tu endlich was. Die Tür knarrt schon wieder. Das hält man nicht aus. Das verträgt doch kein Schwein. Öl sie endlich doch ein.    Was ist ?     Die Ölkanne brennt  ?   Bist du von allen guten Geistern verlassen ?   Das kannst du doch nicht machen. Das kann doch nicht dein Ernst sein ?  Weißt du überhaupt, was du tust ? Da gibt es nichts mehr zu sagen. Das letzte Wort ist gesprochen. Für immer. Für imme rund ewig. Endlich muß mal Schluß sein für das, was jeden Tag auf’s Neue beginnt.

 

 

 


 

Die Rückkehr des Rabbi

 

 

...

 

 

Figurentheater

 

 

Uferlos

 

Ein Stück aus dem Leben

 

 

 

Daß du einmal beinahe nicht mehr dagewesen, das trennt dich von allem, das gibt dir den Riß. Das gibt dir die Kraft. Die Kraft, die Verzweiflung übersteht.

 

...
Die Gabe des Flußgotts

 

...

 

 

Der Irre kommt zurück

 

 

 

Heine. Nicht der Dichter. Der Irre.

 

Anderer Nacht andernachabtransportierter Bruder.

 

Heinrich Paff. Heine genant nur.

 

Als Name er noch hatte.

 

 

 

Er kommt aus der Nacht. Aus dem Tag. Aus den Feuern der Hölle, die auf Erden schon war. Aus den Wolken. Dem Rauch. Aus dem Gas.

 

Er kommt zurück in die Stadt.

Wo er geboren. Gelebt.

 

Er kommt ohne zu setzen sich.

Ohne Platz zu nehmen.

 

Er steht da sprachlos und stumm.

Die Worte alle genommen ihm.

 

Die Ängste auch. Das Leben. Die Sicht.

 

Er hält in der Hand Uhren, die er noch zusammengefügt.

 

Er hält in der Hand seine Bücher, die er geschrieben in feinster Schrift. Gedichte darin.

 

Nicht mal sein Grab findet er.

Abhang geworden jetzt.

Falsche Asche darin.

 

Nirgends sein Name, daß je er gelebt, je aus dem Leben so qualvoll erstickt.

 

Der Irre kommt zurück. Das alles ist wieder. Berg, Tal und Strom. Und die alte Stadt. Das Waisenhaus wieder. Nie hat er anderes außer der Anstalt gesehen. Und Hadamar dann.

 

Er schreckt vor den Bussen, den Menchen, den Blicken.

 

Die alte Kirche dort, in der er konformiert und getauft.

 

Gab Gott ihm die Antwort   wozu ?

 

Er schaut nicht auf die Höhe. Er sieht nicht, daß das Hakenkreuz dort nicht mehr ist.

 

Seine Kleider hat man verwechselt.

Die falschen zurückgesandt.

Tausende vergast.

 

Er gehört zum Weltkulturerbe nicht.

 

Niemals.

 

Er teilt mit den Raben das Brot.

 

Er ißt mit den Felsen die schwarze Stille des Schweigens.

 

Er trinkt mit den Toten die Nacht.

 

Er zeichnet auf Schiefer eine Eidechse hin.

 

Stumm brennt das Feuer in ihm.

 

Nicht sagen zu können, was er erlebt in den letzten Sekunden

 

die Fahrt dorthin von Andernach aus

mit den Brüdern und Schwestern zitternder Angst

der Gang in die Kammer

die Ärzte

das strömende Gift

 

Geruch beißend ätzend

 

nichts hebt auf diese Zeit

die alle Zeit aufhebt

für immer

 

was soll er den seinen sagen

der Brief aus der Anstalt

sie sollen ihn holen

 

das lastet für immer

 

es gab kein zurück

 

der fremde Bus nur hielt an

zugedeckt ganz die Fenster

 

nackt ein Zeichen

ihm auf das Schulterblatt gezinkt

 

der Brief aus der Anstalt

er nahm wahr was geschah

 

das minderte nichts

 

er kam nicht zurück

 

zurückkam ein Schweigen

nichts sagen zu können darüber

als sei nie es geschehen

 

wie sollte man es auch fassen

dem stellen sich

 

als habe nie er gelebt, existiert

 

Schatten geworden im Leben schon

 

aussortiertes Nichts

 

ausgegrenzt früh

 

kein Platz ist hier

war hier für ihn

 

namenlos, ortlos geworden

 

nicht mal ein toter Körper

 

Urne nur einer Todesanstalt

mit was auch immer darin

 

nicht mal das Datum des Tods

auch das nur gefälscht

 

nicht mal verzeichnet die Beisetzung

in das Grab seines Vaters

was immer von ihm

hier ankam     Asche

die nicht mal die seine war

von ihm aber blieb nichts

im Leben schon nicht

 

es blieben nicht die

die mit ihm hörten

die Schreie oder was

immer er auch gesprochen

 

das Schweigen der Ärzte nur blieb

der Pfleger und Schwestern

 

 

geschleust durch Anstalten

in die Todeskammer hinein

 

geschleust durch Feueröfen

in die Luft hinein

 

geschleust ins Vergessen

aus dem nichts kommt zurück

 

 

streu auf die alte Bibel :

 

 

 

abgeknickte Dornen

 

rostige Nägel

 

weiße Asche

 

 

 

 

 

 

 

 


 

Madonna vor den Toren

 

 

 

 

Außerhalb vor der Stadt, direkt an der B9, an der Ecke der Kirche, die früher Kloster, dessen gewaltige Außenmauer den ehmaligen basteiartigen Zollhafen noch erahnen lassen, hier steht sie an zugiger Ecke dem Rhein zu auf einem Vorsprungssims der Mauer. Der alte Lindenbaum und die Tore der Stadt befinden sich hinter ihr, als ob sie die Stadt verlassen und vorgeprescht sei. So begrüßt sie die Ankommenden und die Weggehenden. Autos fahren an ihr vorbei, Schiffe an dieser dem Schutzpatron der Schiffer geweihten Kirche, hinter ihr rattern die Züge und Fußgänger überqueren hier einen Zebrastreifen an einer Ampel, die ihr wechselndes Licht noch auf sie wirft. Kinder eilen hier dem Spielplatz zu oder dem Strandbad. Alte gewaltige Platanen umsäumen hier die Straße und werfen sommertags ihren kühlenden Schatten auf die Passanten.

 

Der Überlieferung nach soll diese rote Sandsteinmadonna oder ihre noch ältere Vorgängerin hochangesehenen geistlichen Räubern nachgeschaut haben, die den Kirchenschatz plünderten, das Geld für den weiteren Aufbau von St. Werner, so daß die Madonna vor Schreck von ihrem Kind aufschaute den Fliehenden nach, mit einem so schrecklichen, vernichtenden Blick, das darauf diese mit der Beute im Rhein versanken.

 

Ja, da steht sie auf einem Sockel, das Kind im Arm, das Kind, das neben ihr auf der anderen Seite der Kirche  gekreuzigt als Mann dahin und geschieden, und schaut es nicht an, schaut weg, wohin nur, ins Leere ?  Rheinaufwärts ?  Rheinabwärts ?

 

Madonna des Morgensterns, Madonna des Abends, vielgegrüßte, rosenkranzdurchwachte, voller Gnade sei uns gnädig,  arme Sünder, die wir sind, auch in der Stunde unseres Todes, sei nahe uns, bitt für uns, steh uns bei, halt das Kind fest im Arm, schau es an, rette die Strauchelnden und Ertrinkenden, sei mit denen, die für immer von hier weg, wo immer auch, begleite die, die auf ihren letzten Weg von hier .

 

Madonna schau mir in mein protestantisches Herz, Wort, das da lebt und fleichgeworden, Gesegnete, Gebenedeite, die du bewahrst in deinem Herzen alle Worte, efeuumrankt mit Weintrauben auch, auf einer Mondsichel im Tor zu Vilnius, von Rosenblättern umschwebte, die du die Dornen ziehst dem Leidenden aus der Brust, eine Krähe setzt sich auf dein Haupt des Morgens, die Blätter der Platanen fallen auf dich, auf deinem steinernen schmalen hohen Wandsockel wächst zu deinen Füßen das Gras.

 

Züge rollen an dir vorbei, Autos, Schiffe, vor der Stadt stehst du, wo vorher Hafen, dann Zoll, Kloster und Kirche nun, Wind dir den Schleier umweht, tags von der Sonne, nachts sternenbeschienen im Mond, sei Stille uns, Einkehr, Umkehr und Ankunft, wo immer diese auch sein mag, du begrüßt und verabschiedest, du tastest, erfaßt unser Grauen, Freude und Liebe ganz, zu dir laß wenden, was abgewendet von dir, brich das Glas, zersäg falsche Glanz , zu dir leg ich das Buch als Blume nieder, Distel und Dorn ins niedergetretene Gras.