Das Institut des Chaos

( Auszug )

 

 

 

  

Nicht irgendein Chaos. Sondern das Chaos.

 

Aber das ist schon wieder die Frage. Gibt es das : das Chaos oder nur irgendein

Chaos ?

 

Wer weiß das zu sagen ?  In diesem Institut forscht man darüber nach.

 

Tagsüber und besonders nachts.

 

Nüchtern und nachts besonders mit Alkohol.

 

Wie soll man das Institut nennen ? Man hat keinen Namen für das Institut.

 

Chaotisches bekommt kein Geld. Keine Förderung. Keine  Stipendien. Keine Forschungsaufträge.

 

Nichts ist da mit DFG. Nichts mit VW.

 

Also wie einen Namen suchen für das was man macht ?

 

Wissenschaftlich genau das zu untersuchen, was höchstwahrscheinlich gar nicht wissenschaftlich ist.

 

Sich anzuschauen das, was sich allem entzieht.

 

Und das,  wenn es sich zeigt wie und wo auch immer, entwischt es vielleicht sofort und ist gar nicht in Worte zu fassen.

 

Ein Institut das mit Denken zu tun hat und sich doch mit dem beschäftigen will,  das vielleicht gar nichts mit Denken zu tun hat, völlig fremd dem gegenüber, mit Denken vielleicht gar nicht zu erfassen ist.

 

Eine Chimäre, die grinst zahnlos über die Zufälle und Muster hinaus.

 

Natürlich hat so ein Institut mit Tagespolitik gar nichts zu tun, ohne deren völliges Chaos nicht leugnen zu wollen.

So ein Institut ist zeitlos und schaut über die Mauern der Jahrhunderte hinweg.

 

Nah immer dem, der anfing, Horizonte zu öffnen, aufzuschließen die mitunter hermetisch verbrämten Geheimnisse des Dunkels.

 

Die schwarzen Flecken zu säubern, das ist die Aufgabenstellung des Instituts.

 

Aber Reinemacherinstitut konnte man es ja nicht nennen,

Fleckenentfernungsbühl ebenso wenig.

 

Der Name mußte harmlos sein. Genauso wie der Ort.

 

Nicht irgendwo abseits. In der Stille. Am Waldrand. Das fällt nur auf.

Nicht in einer Metropole, die alles anzieht, über die alles spricht.

Aber doch verbunden mit den Jahrhunderten, mit den Zeitläufen.

 

Also ein nicht so großer Ort, unbedeutender und doch voll einstiger Energie, die nicht mehr erfaßbar flach touristisch nur noch dösend sich verstrahlt.

 

Keine Einöde, mitten in der Stadt, an einer Kreuzung, umgeben von Ampeln und Bus- und Autoverkehr.

 

In einem Baustil, der sich anpaßt der Umgebung in einem stillen Dialog über die Zeiten hinweg  Architektur als Antwort, Brücke und Herausforderung.

 

XXX...XXX

 

Aber zu zentral. man kann das Chaos nicht zentral erfassen. Man muß von außen her kommen, von den Rändern, den abgebissenen, zerfranzten auch.

 

Nur die Peripherien eröffnen uns eine Sicht. darum wird ja auch nichts am Rande geduldet. Sofort hinweggetreten nach oben oder unten. Keinerlei Autonomie, Halt am Rande. Zentrifugal saugt die Manipulation an, auch wenn die Metropolen hungern nach Honig und Salz,  sie werden gezuckert mit dem Futter käuflicher Feilheit.

 

Nein, kein zentraler Ort, abgelegen eher.

 

Und der Name muß auch unverfänglicher sein.

 

Physiologie! 

 

Das ist es. Dabei denkt sich niemand was.

 

Das hört sich völlig unverfänglich an.

 

Niemand nimmt da Anstoß.

 

Man weiß nicht, was es ist. Aber es hört sich ordentlich an, körperhaft, realistisch.

 

Es ist die richtige Materie, hinter die Materie zu gucken, falls da ein leerer Raum ist, der dergleichen zuläßt.

 

Da es spekulativ, gar metaphysisch sein wird, muß es Deutschland sein.

 

 

XXX...XXX

 

 

Der Ort war gefunden. Es konnte nur der sein. Abgelegen und  bot doch eine belebte Kreuzung, an einem Fluß, den niemand wahrnahm und dessen Namen nicht von ungefähr an Wahn erinnerte.

 

Das Haus, man war sich einig.

 

Keine glatten Flächen.

 

Glatte Flächen fangen das Chaos nicht.

 

Also in alter Maurertradition Stein auf Stein.

 

Durch Fugen hindurch gerade im Festgefügten, nur dort entkommt man der Ordnung, wie Edmond Dantes aus den Kellern des Chateau d'If .

 

Chaosforschung das ist, den Sack aufzuschneiden, der nur für den Leichnam bestimmt war, aufzuschnellen durch das Meer, nachdem man als Toter den Wänden der Festung entkommen, aufzutauchen in ein Licht, das man noch nie gesehen, oder lange nicht mehr. Oder in einem Leben zuvor.

 

Stein auf Stein. Ein Institut.

 

Victor Hugo würde grinsen. Auch das ist Alchemie. Alchemie , die nicht mehr das Gold sucht. Kein weißes auch mehr, zersprungen das Porcellan.

 

Alchemie, die das schwarze Ei des Chaos sucht. Saturn bleiern lacht dazu.

 

Vielleicht aus einem Schlangenei, das vor dem Sündenfall noch aus dem Paradies gerollt, schlüpft vielleicht ein beflügelter grüner Salamander oder ein Basilisk, der unzählige kleine schwarze Spinnchen spuckt, die plötzlich da sind und wieder weg, deren Netze man nicht sieht, deren Bisse lautlos und die durch die Dimensionen unserer Vorstellungen schwimmen, vernetzen uns, verknüpfen momenthaft, das wir in einem seltenen kaum wahrgenommenem Zucken, nicht mehr wissen, was vor unseren Augen da gaukelt, ungespiegelt im Traum, ungespiegelt im Denken, meßbar noch nicht, tanzend Mücke, deren Stich nur bezweckt, wenn er denn etwas bezweckt, Irritation nur zu sein.

 

Die Farbe war klar. Es gab nur eine Farbe für das Institut, das der Erforschung des Chaos sich hinzugeben bereit war :   Grau.

 

Eine Farbe, die mit den ältesten Bausubstanzen korrespondierte und doch angepaßt der modernen Erfahrung der Leere.

 

Durch die Graue hindurch, das Beben der Leere zu spüren, die doch nie leer, durch die Negationen der Sprache zu etwas gelangen was vor der Negation war und mitzuckt in aller Ordnung ein unsichtbares Feuer, das uns zu höhnen vermag, wenn wir denken, wir hätten faßbar was in der Hand. Zu segeln ohne Segel, ruderlos durch das Schweigen hindurch. Die Schärfe der Sense im abgemähten Gras wie sie noch blinkt in der Sonne.

 

Chaos ist ein Tunnel, in dem man sich ganz zu Hause wohl fühlen muß, unbekümmert, daß da nirgends ein Ausgang oder Eingang ist.

 

Der Tod von Lady Di. In diesem Tunnel. Unaufgeklärt für immer.

 

Ja Paris.

 

An diesem Ort hier, denkt man immer an andere Orte. Paris. Barcelona. Kuba. China. Anders kann man hier nicht überleben. Allzusehr Provinz.

 

Und doch der Ort hat was. Ist gut gewählt.

 

Die Blicke der Dummen werden abgelenkt auf einen Berg zu einem künstlichen Herz, das gegen Geld flimmert.

 

So starren sie hier immer in irgendein Klimbim, das sie Kultur, Religion oder sonstwas nennen.

 

Sie installieren den mainstream. Laufen hinterher, blähen sich auf, kopieren jeden noch so mittelmäßigen  Bluff. Im flachen Wasser reden sie von Strömung.

 

Nur die hier arbeiten, nachts erst nach Hause kommen, mit Zug und Busfahren müssen, an dem Affengitter dieser Stadt hier ankommen, das am Bahnhof den Zutritt ihnen versperrt, daß sie später all die leerstehenden Geschäfte der Oberstadt, alles nur als Käfige noch empfinden. Und obwohl des Rühmens kein Ende ist, auch in linken Gazetten nicht, längst haben die Bahnhöfe keinen Warteraum mehr, geschweige denn abends eine Toilette und so , ausgerechnet weil das Institut an so gut gelegener Kreuzung, nahe einer Bushaltestelle, wie geschaffen hinter einer dichten Hecke ein wunderbares Separee bietet, eine steinerne Wohltat,ein ganz kleines Quadrat nur, in die kein Blick von außen zu dringen vermag, so entrichten die eingeweihten männlichen Epheben hier dem Institut der sogenannten Physiologie einen Gruß, der hoffentlich das Chaos nicht beleidigt, aber es wird dergleich nicht fühlen, sondern sich vielleicht eher geehrt fühlen, daß es aufgesucht wird, weil doch die Ordnung versagt selbst bei etwas so menschlich Notwendigem.

 

Wenn auch nicht Paris, der ältesten gotischen Kirche ist es benachbart, in derem Schatten zwischen Frauenklinik und Kinderklinik.

 

Manch Neugeborener wurde an der ehrwürdigen Fassade des Instituts vorbei in rettenden Sekunden zur Kinderklinik schnell transportiert.

 

Anatomie, Mineralogie alles in der Nähe.

 

Jetzt stehen die Kliniken leer und alles wartet in den leeren Hallen ein Lachen zu hören, wie billig man alles privatisiert,verscherbelt, verramscht.

 

Ja, so schrieb es hier schon einer vor Jahren, als diese Stadt Gießen sah, hat sie vor lauter Entsetzen für immer den Anschluß verpaßt.

 

Aber es gibt hier eine Lokomotive, in der man griechischen Wein trinken kann. Plötzlich ist man am Meer, Poseidon blickt einem über die Schulter,  die Erynien tanzen nackt und die Parzen versuchen vergebens aufzuwickeln, was sie gesponnen und zerstückelt haben.

 

Ja das Institut liegt zeitlos. Irgendwo in einem hessischen Dämmer und doch am Atem der Geschichte.

 

Augen- und Hautklinik sind auch benachbart. Doch die werden auch bald gehen. Es geht alles hier bergauf, wenn es hinabgeht.

 

Man wird eh neue Augen und neue Poren der Haut entstehen lassen müssen, wenn man das Chaos zu ertasten versucht.

 

Etwas wird hier bleiben, benachbart dem Institut, genau gegenüber, diese gotische Kirche, das Grab.

 

Das Grab einer Heiligen, die der Ordnung entstieg und doch wieder eingefangen wurde von ihr.

 

Die Armut und Holz wollte und Ruhm und Stein bekam.

 

Ein Grab durch die Konfessionen hindurch. Eine Frau hoch verehrt.

 

Ein leeres Grab.

 

Ein Basilisk an ihrem Reliquienschrein.

 

Am Altar in der Chorwand ein altes romanisches Fenster von der Erschaffung der Welt, wie kann man sehen diesen Zustand, als Licht und Finsternis noch nicht getrennt ?

 

Eine Grabeskirche, deren gotisches Zauber- und Maßwerk dem Institut zu doch einen Fehler aufweist, der geschickt ausgeglichen, kompensiert wurde.

 

Auch die Harmonie hat ihre Fehler. Und diese reizen uns.  Die vollendete Symmetrie läßt uns nur erschlaffen, ermüden, einschlafen.

 

Darum ist Hessen vielleicht so langweilig, weil sie alle Zustimmung suchen, die nichts kostet.

 

Diese Heilige gab ihrer Zeit die Zustimmung nicht.

 

Dorn war sie, Widerspruch, Brennessel eines unsichtbaren Feuers und Chaos.

 

Die hohen Türme ihrer Kirche, kreuzugserfahrene islamische steinerne Minarette, Tentakeln, Fühler in das Nichts, in die Höhe des Abgrunds.

 

Wer in die Tiefe fällt, wirft seine Anker in die Höhe.

 

Doch nun zu dem Institut. Gehen wir hinein. Nein erst in die Kellergewölbe.

 

Dort kommt uns schon ein muffiger Gestank entgegen. Ratten. Nein, Kaninchenwärme. In den fast fensterlosen Gewölben auf engstem Raum, computerversehen, Käfige, Akten, Gänge, eine Monade, das unterirdische Reich eines Einmannforschers, Tierschützer, Veterinärmediziner, Künstler, der Name seines litauischen bärtigen Urgroßvaters klebt noch an ihm, manchmal trägt er einen weißen Kittel hier, in Hast immer, unruhig mitunter vor der verschlossenen eisernen Tür ohne Schlüssel. Dann zeigt er Studenten wie man die Bäuche der Mäuse aufschlitzt, Organe operiert. In dieser muffigen Enge hier schnell die Faxe nach Kuba und China. Eine Erfindung, glücklich endlich patentiert, bringt ihn immer weiter in die Welt hinaus. Nicht nur Affen hier operieren oder Schwäne. Aus diesem Keller hier, der selbst ohne Sekretärin blieb. Mit einem Billigstoff, nichts für die Profitgier der Pharmabosse, unscheinbar mit Ozon vermag er zu wirken. Wie ? Das hat er an Ratten gelernt, dann an Kaninchen. Wo, wenn nicht in den Kellergewölben des Chaosinstituts gebärt sich eine neue Technik an Ratten, Mäusen und Kaninchen, Menschen zu helfen.

 

Viele Räume des Chaosinstituts blieben dem Schreiber hier auch unbekannt. Er hörte vom Abbau gar wieder, vom Abtransport von Geräten und Inventar. Aber das Wichtigste hat er gesehen. Direkt in der unteren Etage. Den Thronsaal des Chaos.

 

Zuerst Stufen hoch, gelangt man durch den Eingang in das riesige steinerne Treppenhaus. Chaos braucht dergleichen. Mehr denn jede Ordnung. Sonst würde schon direkt von Anfang an alles zusammenstürzen. Ein steinernes Treppenhaus aber mit Säulen, steinernen Schaften, Ringen hält alles zusammen. Beruhigt vermag man diese Stufen zu gehen, die einem zum Abgrund der Wissenschaft führen.

 

An dieser steinernen Treppe vorbei, dann an einem türlosen kleineren Raum vorbei, der mit Sitzbänken versehen vor einem Fenster den indianischen Göttern opfert im qualmenden Rauch des Tabaks, öffnet sich dann der Thronsaal. Eines Chaos würdig. Denn das Chaos muß thronen sonst ist es nichts. Jedes Prinzip will thronen. Und das Chaos ist auch ein Prinzip. Kein Zufall nur. Mehr als nur ein Lottogewinn. Obwohl mit letzterem würde ich mich auch begnügen wollen. Nein das Chaos übersteigt unsere Vorstellungen. Darum benötigt es auch keinen Thron. Thronlos thront das Chaos in diesem Thronsaal.

 

Es ist gefestigt in aller Instabilität. Wie könnte man das besser demonstrieren, installieren als mit vier mächtigen wuchtigen steinernen Säulen, die in der Mitte des Raums, unter kleineren Kreuzgewölben in einem Quadrat alles tragen, die Decke, das Institut, die Lehre, die Leere, den Himmel, den Abgrund, all die offenen Fragen.

 

Zwischen diesen mächtigen Säulen ist der Ort, wo alle vorrübergehende Ordnung tief sich verbeugt vor der unbekannten Würde des nie zu erfassenden Chaos. Hier finden die Annäherungen statt und die Feste.

 

Mysterien ändern sich nie, sie kleiden sich nur anders um.

 

Wissenschaft ist nur ein Schattenspiel, die leuchtenden Drachen kommen des nachts.

 

Natürlich bei so einer Party haben unsicher und verlegen fast  alle Komplexe und versuchen das zu umgehen und wissenschaftlich zu neutralisieren, indem sie von komplexen Strukturen reden und so.

 

Wir wären alle Tiere und dem Tag ausgesetzt und nur dem Instinkt, dem ohnehin wir immer mehr ausgesetzt, wenn wir die Schrift nicht hätten. Und so zaubert das Chaosinstitut vor allen Blicken Schriften von links nach rechts und umgekehrt, gespiegelt von oben und unten, zyklisch, konzentrisch, frugal in allen Sprachen das vergebliche Krächzen von Vögeln, die mit ihren Krallen in den Sand setzen die flüchtig verwischbare Spur von Bewußtsein. Von Bewegung, die auf der Erde verharrt, im Sand steckenbleibt, solange unfähig nur zum Flug.

 

Auch das Gejaule und Gekreische der Katzen im Mai hilft zur Liebe nicht weiter.

 

Längst hat das Chaosinstitut gescheckt,  wie man dem Chaos sich nähert. Mit würdig weißem Bart, schwarzem Zylinder und einer Moritat.

 

XXX...XXX

 

 

 

Und die Ängste der Mitarbeiter werden auf einmal wach. Einer könnte das Chaos vor dem andern entdecken. Vielleicht ist das Chaos gar nicht in dem Institut. Vielleicht sieht einer es mit dem Fernrohr zuerst des morgens, wenn er in die nahgelegene Anatomie hineinschaut oder in die Gerichtspathologie, wo eine alte Sekretärin ihr Leben lang des morgens die aufgestauten Nächte hineintrug.

 

Vielleicht ist das Chaos doch in der gegenüberliegenden Kirche mehr, wo Wespen durch die Totenschilder fliegen und der Sieger von Tannenberg verscharrt ist. Wo Friedrich II auf Friedrich II stieß aus verschiedenen Zeiten heraus. Wo im steinernen Lettner alle Figuren fehlen. Vielleicht ist das Chaos so ein steinerner Lettner, dem alle Figuren fehlen, eine Scheinwand, durch die man doch hindurchsehen kann.

 

Im alten Kornspeicher all die Steine, Mineralien aus den Erdjahrhunderten was verheimlichen sie, welche Zeit haben sie eingefangen, durch welche Räume sind sie gewirbelt ?

 

Wer entdeckt zuerst das Chaos ? Nachher geht man in die Irre und findet es nicht.

 

Bei den Geisteswissenschaften ist es sicher nicht, und wenn schon, ein Chaos , das sich nur beduselt und schläft, medienhaft im Zeitgeschmack untergeht, ist uninteressant.

 

Chaos wird wie Leben sein. Unvorhergesehen. Unberechenbar. Pochend. Zucken. Ohne jegliche Garantie.

 

Chaos ist weder museal noch romantisch.

 

Im Abseits, im Abgelegenen, im Unvorhergesehenen zucken seine Stacheln.

 

Chaos ist eine offene Wunde, die nie zunarbt.

 

Chaos ist sich selber immer Arzt.

 

XXX...XXX

 

 

Wie immer, wenn der Morgen sich allmählich nähert, kommen die Wahrheiten ans Tageslicht aus dem Dunkel der Nacht heraus.

 

Jeder weiß, das in Archiven nichts steht. Nur Aussortiertes.

 

Der Hausmeister ist ein lebendiges Archiv. In ihm sind die Erinnerungen gespeichert wie in langjährigen Mitarbeitern auch. Die schnellen Karrieren sind nur Eintagsfliegen, die über alles hinwegziehen ohne je was zu bemerken.

 

Sie haften nicht und sie spenden nicht ihre Zeit, geizen nur.

 

Eine Bruchbude soll dieses Institut gewesen sein, baulich, eine Baustelle. Ja besetzt sogar sei es gewesen. Und die oberen da hätten zurückgezogen. Solche Erinnerungen führen zum wahren Namen des Instituts.

 

Institut für Physiologie -  sein geheimer wahrer Name : 

 

Baustelle für unbesetztes Chaos.

 

 

XXX...XXX

 

 

Das Chaos hat die Wissenschaft und das Institut voll im Griff.

 

Nirgendswo aber als in diesem Institut des Chaos hab ich zu nächtlicher Stunde erlebt, so gut und fest eine Zigarette gedreht zu bekommen, daß man eben wieder glaubt an das Handwerk. Was würde aus dem Mensch, wenn er bodenständig nicht bliebe.

 

Vielleicht aber war es auch der Einfluß der Säulen, daß die Zigarette so festgerollt und doch gut zu ziehen.

 

Zwischen diesen Säulen fand dann ein Gespräch über Chaos statt. Der Mensch erfasst sich nun mal erst im Du, im Dialog. Allein ist er nichts. Nur Nabelschau.

 

Zu zweit versucht er seinem Namen zu entkommen, der manchmal so sehr ordnungsgemäß und normal klingt, daß er gezwungen ist, das andere, das Chaos aufsuchen zu müssen.

 

Unter Säulen über Gott zu sprechen. Unter Säulen über Tod zu sprechen. Unter Säulen über Chaos zu sprechen.

 

Statt in der Bildzeitung täglich seine neue sexuelle Identität in welcher auch immer pervertierten Aufspaltung zu lesen, sollte der Mensch vielleicht auch bedenken, daß er auch Künstler ist im Gespräch mit Gott, dem Teufel, dem Chaos.

 

Diese Luft der Leere einatmen und genießen den Stachel des Widerspruchs, Hitze und Kälte zugleich.

 

Der Tanz begann. Der Tanz um die Säulen. Um die Fesseln des Bewußtseins. Die Schleier zu heben. Die der einfachen Wünsche auch. Wo endet der Bauchtanz ? Wo endet der Kopfstand ?

 

Einen Moment nur fessellose Stille zu spüren.

 

Den Hauch eines andweitigen, das nicht zu bestimmen.

 

Zu fühlen, man ist nahe dem Rätsel, das man sich nie gestellt.

 

Zu wissen, ein Traum kommt an.

 

Eine neue Farbe gebärt sich.

 

Aus dem Nebel heraus plötzlich ein Ufer.

 

Horizint wäre zuviel. Eine Brechung. Eine bis dahin noch nie vorgekommene wahrgenommene Brechung.

 

Eine Störung, die kalkulierbar doch.

 

In allem Amorphem nistet wie auch immer :  Struktur.

 

Wir sehen die Muster nicht, die uns bestimmern. Wir schaffen nur Planstellen in ihnen.

 

Die zwei Chaos-Diskutierenden in diesen alten Gewölben, wenn des morgens nicht nur das Licht aufklärend ein sich wirft, sondern

die Nacht nebelverhangen romantisch noch mitschwebt, wach waren sie, alle Chaossuchende sind wach, immer wach, späte Nachfolger der frühen Peripathetiker schlenderten sie vom Thronsaal des Chaos hinaus und wieder herein durch steinerne Gänge am Büffet vorbei, und ehe einer von ihnen am Wochenmarkt direkt vor der Tür Brötchen und selten blaßbunte Tulpen kaufte, stopften sie sich die Taschen voll, darin Kenner des Chaos, mit dem was man mitnehmen kann, denn Chaos macht sehr bescheiden, aber glücklich doch auch, diese Nacht schenkte das Chaos ihnen selten frische Pfefferminzblätter und rote Pfefferkörner.

 

Man muß das Chaos schmecken, ehe man es erforscht.

 

Die Pilgertouristen draußen aber, die das Heilige buchen, und nur das flache flimmernde Herz zu Gesicht bekommen, angesichts mancher Gedankengänge dieser Nacht, der huschenden brennenden Heuschrecken, dem Steppenbrand, den das Chaos verursacht,  vor Schreck würde ihnen die Elisabethtorte, all die Sahne auf das neue Pflaster klatschen.

 

Die Argentinierin aber, die um Mitternacht in einem Deutsch aus unbefangener Kühnheit die laudatio hielt. Feministisch. Hexenhaft. Gekonnt irrend googelnd durch die Suchmaschinen der Blödigkeit hindurch, ihr Witz, ihre gespielte Hilflosigkeit übertraf all die sonst unerträglichen Redewendungen, so allein vermochte sie es, das es schlicht und einfach klang und war, was es sein sollte : Lob.

 

Vielleicht ist das Chaos doch nicht der Abgrund der Kälte, die Distanz im medizinischen Blick, sondern ein unsichtbares Feuer,  das tanzt um die Säulen herum.

 

Vielleicht tanzt Esmeralda auch hier, nicht nur in Paris, spannt sie das Tamburin.

 

Vielleicht, man soll das Unmögliche nie ausschließen, wird es irgendwann einen sibirischen Schamanen geben. der dumpf trommelnd ins unergründbare Chaos geht und sich daraus wieder rettend sogar einen Psychiater einen Drachen zu schenken vermag, der fliegt ohne die Leute chemisch zu verbrennen.

 

Vielleicht auch im Institut der Physiologie brennt eine Kerze, deren Licht nicht zu löschen ist, weil es nicht von dieser Welt ist, weil es selbst in der Finsternis noch brennt, weil wir es nicht benamen können, hilflos es einfach nur Seele nennen.

 

Physiologie das sind die vier Säulen, das ist unser Kopf, Organe, Gehirn, Nerven, Zuckungen, Denkströme, aber was tanzt zwischen diesen Säulen, was tragen sie, was vermögen sie zu erfassen, das sie selber nicht sind.

 

Erst wenn wir die Masken ablegen, öffnen wir uns dem Chaos.

 

Die Ruder loslassen.

 

Die Zeit der Konquistadoren ist vorbei. Ebenso wie die Zeit der Inquisitatoren.

 

Früh schon wurde er gekillt Nachbar Konrad.

 

Die Zeit der Landeinnahme ist vorbei.

 

Eher droht die Zeit der Visitatoren und Zertifikate.

 

Wir erobern das Chaos nicht. Das Chaos ist keine dumme Insel.

 

Wir sind vermessen, wenn wir denken, wir könnten es vermessen.

 

Wir können uns öffnen dem Chaos, gewinnen dabei, es aber nie verwalten, instrumentalisieren.

 

Wir können zulassen, zulassen es, hier sieht man, die Sprache vermag nichts, sie bezeichnet immer auch das Gegenteil. Nicht die Schotten dicht, nicht zu machen, die Türen zulassen, öffnen nicht, sondern es sein lassen so wie es ist, es zu lassen, was aber meint, es sein zu lassen wie es ist, aber nicht in dem Sinn es sein zu lassen, aufgeben und dann weg, nein es in seinem Sein existieren zu lassen.

 

Das Chaos hat uns fest im Griff, denn wir sind sprachliche Tiere, die nur stottern und denen immer mehr Anfänge und Bedeutungen der Sprache verlorengehen.

 

Wir haben keine Zeichen für das Zeichenlose. Und wenn ungekoppelt.

 

Worte müssen in uns leben, um Atem zu sein.

Sonst ersticken wir.

 

Wissenschaft möchte immer Spiegel sein.

 

Im Spiegel der Wissenschaft.

 

Chaos aber ist ein Vampir, bekanntlich ohne Spiegelbild.

 

Nicht aber nur einfach Zufall und Leere.

 

Nein messerscharf ein Splitter.

 

Kein gläserner.

 

Materiallos ein Splitter des Nichts, das doch in uns wuchert von Anfang an und über uns hinaus.

 

Wir sind nur stumme Gäste, wenn es tanzt.

 

 

 

 

 

 

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