Bacharach was es war,
was es ist, und was es wird

 

Festvortrag von Friedrich G. Paff zum 125. Jahrestag der Gründung des Bacharacher Verschönerungsvereins am Samstag, 4. Juli 1998, 18 Uhr, im Posthof Bacharach.

 

 

Ich danke dem Verschönerungsverein für die Einladung, hier sprechen zu können, und Ihnen meine Damen und Herren für Ihr Erscheinen hier. Ein Vortrag zum 125. Gründungsjubiläum des Bacharacher Verschönerungsvereins. Das mitten in der Fußballweltmeisterschaft und ich muß gestehen, ich habe erst vor 3 Tagen mit dem Schreiben dieses Vortrags begonnen. Über was soll ich reden? Und warum hat man mich dazu eingeladen? Ich habe die Wahl des Themas, das ist sehr selten, und werde nicht fachwissenschaftlich, sondern als Schriftsteller hier zu Ihnen sprechen, das erlaubt mir mehr Freiheit und auch zu einem freudigen Jubiläum wie diesem hier Kritisches mitanzumerken, wenn auch versöhnlich. Das nur Lob, die Schönrednerei wird man von mir wohl nicht erwartet haben, als man mich zu diesem Vortrag einlud. Also kein "Warum ist es am Rhein so schön..." und doch, es ist am Rhein sehr schön. Wo wir schon bei dem Wort "schön" sind; "Warum ist es am Rhein so schön" ist nicht das Gründungslied des Verschönerungsvereins oder ist es das irgendwie doch?

Über den Rhein hier, Tourismus und Alltagsbewußtsein, Romantik und rheinische Mentalität heute, habe ich letztes Jahr auf dem Hansenfest gesprochen und ich empfehle Ihnen das diesjährige Hansen-Blatt dort, wo dieser Vortrag abgedruckt ist.

Hier habe ich das Glück, das der Vortrag nicht abgedruckt wird, was mir noch mehr Freiheit und Leichtigkeit erlaubt. Aber ein Thema braucht's dann doch. Welches Thema? Über Verschönerungsvereine? Die ältesten? Hintergründe? Motivationen? Organisationsmodelle? Da gibt es wenig Literatur. Den Verschönerungsverein in Oberwesel , der sich ebenso um die Anlagen und Schiffsanlegestellen verdient gemacht hat, gibt es zum Beispiel schon lange nicht mehr. Und die Chronik unseres Jubiläumsvereins hier ist ausführlich durch Heinrich Kauer zum 100jährigen, jetzt auch durch Frank Conrad zum 125jährigen dokumentiert.

Ein Thema, das ohne Antwort bleiben wird. Denn eine eindeutige Antwort darauf wird es nie geben und das ist gut so und somit bleibt das Thema auch für fernere Generationen produktiv :

"Bacharach, was es war, was es ist, und was es wird"

Ja, dieses Bacharach, dreimal darf man tief a stöhnen, ob vor Lust oder vor Schmerz, wer weiß das so genau.

Ja haben die Romantiker, Victor Hugo es nicht glänzend beschrieben, vollendet besungen. Ja, in einem noch älteren Blatt von 1725 wird es mit seinen alten Gassen sogar mit Jerusalem verglichen. Ich frage mich, warum haben sich vor 125 einige Leute getroffen, um es noch zu verschönern?

Was gibt es an Bacharach zu verschönern?

Ist es nicht einfach schön?

Kann man Schönheit verschönern noch? Gibt es ein mehr an Schönheit?

Versilbern kann man etwas auch im Doppelsinn des Worts: verscherbeln, verkaufen, vertun. Vergolden, aber das ist doch alles nicht echt, falscher Rheinkiesel, künstliche Glaskunst nur, verblendet dann, verziert, verbrämt. Verschönerung, bestimmt ist es nicht das glücklichst gewählteste Wort. Was kann man von den alten Griechen, von Plato über Schönheit lernen, was bei Hölderlin lesen, bei Heidegger?

Naturschönheit hier am Rhein, Weißdornhecken, felsige Hänge, Mondnacht. Wer will da was , wie und wozu und wohin verändern, verschönern? Künstliches Efeu an alten Mauern, Romantikeffekt ohne schädliches Wurzelwerk? Ist das nicht das Ende der Romantik, wenn sich die alten Balken nuttenhaft putzen, verfärbt sich schminken, jeden Touristen anbiedernd angrinsen, sich nicht einmal biegen mehr. Nicht einmal vor Lachen über sich selbst und zusammengezimmerte Lügen.

Verschönerung ist das nicht das Ende von allem, historisierendes face-lifting? Der Anfang eines Kulissen- und Theaterspiels. Wo zu guter letzt alles nur noch Geschäft, Fassade oder Attrappe ist. Oder dann kein Geschäft mehr, sondern Ausverkauf.

Huch, ich befinde mich in falscher Rede, wir feiern ja gerade das Jubiläum eines Verschönerungsvereins.

Nein, ich befinde mich in richtiger Rede, es gilt, zukünftige Gefahren dieses Worts "verschönern" aufzuzeigen; die aber 125jährige aktive Vereinsgeschichte zeigt, daß man diesen Gefahren nie erlegen war, man hatte wichtigere, notwendige Aufgaben zu erledigen und wie die Chronik zeigt, aber auch die Umgebung hier, meisterte man sie.

 

Lassen Sie mich in diesem Jubiläumsjahr einen Vorschlag machen für eine zukünftige Gestaltung von Bacharach, nicht etwa einen begehbaren Stadtmauerrundgang im ganzen Umfang des sich bis auf die Posten- und Burghöhe hin erstreckenden Mauerrings, das wird man nicht vorschlagen müssen, das wird kommen, so unvernünftig wie jetzt wird man diese Mauer nicht unbegehbar hinter Tannen versteckt halten können. Dieser Mauerring um die Stadt läßt mich schmunzelnd fragen, mit wem ist die Stadt eigentlich verheiratet?

 

Nein, ein anderer Vorschlag. Bacharach wurde oft als finster, düster, grau, uralt geschildert. Dieser Eindruck wird vermehrt durch das Kantige, Schroffe der eckigen Stadttürme. Ältere Bilder wie auch der Meran vermitteln einen anderen Eindruck, der noch umrahmt ist von den harmonischen mächtigen Rundtürmen. Diese wurden im 17. Jahrhundert weggesprengt, also war die Stadtmauer doch nicht so strategisch unbedeutend, nur Schau, wie heute Historiker behaupten, die auch übersehen, daß der Rhein bis fast zu den Toren ging. Gerade auf Grund der vielen Tore spricht man ja der Bacharacher Stadtmauer im Gegensatz zu Oberwesel den verteidigungsmäßigen strategischen Nutzen ab. Nun, historische Einsichten wechseln stets, mal war die Wernerkapelle unvollendet geblieben, dann wieder nicht, und der Beispiele mehr.

 

Mein Vorschlag an künftige Zeiten wäre, den Diebesturm vielleicht wieder aufzubauen, also einen Ochsenturm wie in Oberwesel hier am Rhein zu haben. Wäre das nicht eine gelungene Aufbauleistung des ursprünglichen Stadtpanoramas? Nun, ich höre Sie schon innerlich schmunzeln, was soll das, der Paff ist ein Spinner, dafür ist doch kein Geld da.

 

 Ja, aber nehmen Sie meinen Vorschlag schon deswegen zur Kenntnis, um zu ermessen, was die Generationen vorher, Verschönerungsverein wie besonders Rheinischer Verein für Denkmalpflege und Heimatschutz geleistet haben. (Heute nennt sich das nicht Heimatschutz, sondern Landschaftsschutz. Der Rhein ist jedoch weder militärisch für mich Gelände, auch nicht meine Landschaft, sondern meine Heimat, das setzt mehr Kräfte zur Erhaltung frei, auch geistige als modernisierte Worte.) Nie hätte mein Großvater, 1848 geboren im Jahre der Revolution, der noch schrieb:

 

"Romantisch alte Mauern auf meiner Heimath Höhn

Ihr seid mir treu verblieben, wenn auch die Menschen gehn

Tönt nicht in euren Hallen des Lebens Freudenklang

So lebt ihr dennoch wieder in Sagen und Gesang."

 

nie hätte mein Großvater je geglaubt, daß die Burg je wieder aufgebaut würde. Und wie kahl sah Bacharach um 1900 aus.

 

Ja, der Verschönerungsverein ist gar kein Verschönerungsverein. Hat er die Rheinanlagen etwa verschönert? Nein.

 

Er hat sie geschaffen erst. Aus Nichts hat er etwas gemacht. Den Boden erst bereitet, Grund angeschüttet aus Kelleraushub, Land geschaffen. Ein natürliches Erd-Fundament so gelegt. Dann kamen erst die Bäume und Anpflanzungen.

 

Den Zugang zu den Schiffen, die Landebrückenstation, den Reisenden erst gelegt, die Brücke somit gebaut zwischen Hier und Ferne, dem Ort und den fremden Gästen. Man muß halt nur erst ankommen können, um hier zu sein.

 

Was macht eigentlich die Schriftenreihe des Verschönerungsvereins? Hat der Verein doch den ersten Führer durch Bacharach herausgegeben.

 

Was mir an diesem Verschönerungsverein gefällt, ist seine Vielfalt von Aktivitäten. Wanderwege, Badeanstalt, Aufforstungen, Musiktempel, Konzerte, Jugendherberge, Winzerfest, Rabenkopftempel, Festspiele, vielleicht wäre da auch noch Platz für zukünftige Lesungen? Und da in Bacharach die Personendecke ja nicht allzu groß ist, waren seine Vorstandsmitglieder immer auch noch anderswo für das Wohl der Stadt tätig. Frank Conrad heute auch für den Wernerbauverein. Der 14 Jahre amtierende Vorsitzende und Hansenbruder Jürgen Bastian war auch Bürgermeister der Stadt. Man sah stets über die Vereinsgrenzen hinaus und unterlag nicht dem Fehler, daß der Verein konkurrenzlos alles zu sein hat, wo am Ende der Vereinszweck erlischt vor der Geltungsbedürfnis seiner Vorsitzenden und man sich am Ende nur noch selbst gratuliert. Der Bacharacher Verschönerungsverein war stets ein Vorbild des kooperativen Miteinanders. Auch seine stets guten Beziehungen zum Rheinischen Verein für Denkmalspflege und Heimatschutz bezeugen das. Und sein langjähriger Vorsitzender Heinrich Kauer hat sich viele Jahre um die Gestaltung des Winzerfestes verdient gemacht. Darum sei ein Wort hier zum Winzerfest gesagt. Will man wirklich diese für Generationen stets schöne Kindheitserinnerungen des Bacchus durch das Steeger Tor inmitten der Fackeln abschaffen? Will man aus dem Winzerfest ein Sommerfest machen? Wie immer man es gestalten mag, aber der Bacchus ist meist beleibter, dicker ,fetter, eventuell glatzköpfig und im Sommer schwitzt er so. Im Sommer bei gutem Wetter kommen die Touristen auch so. Aus vielerlei Gründen gehört das Winzerfest zum Saisonausklang näher, in den Lese- und Erntedankmonat Oktober. Dieses Haus hier ist selber ein Beispiel, daß diplomierte akademische Beratungen genau wie statistisch hörige touristische im Bereich der Gastronomie nicht immer aufgehen. Wer das Winzerfest vom Oktober wegzieht, verliert ein Stück eigener Kultur.

 

Amanda, Amanda, sie spüren, ich denke mit Wehmut an den verstorbenen Bacchus, meinen Hansenbruder Jupp Vogel. Er hat uns die Feste verschönert. Auch das wird stets Aufgabe eines richtig verstandenen Verschönerungsvereins mit sein, beizutragen zur Geselligkeit, Einrichtungen zum kommunikativen Miteinander, Sitzbänke am Rhein sind das ja schon, zur unbefangenen Lebensfreude nicht nur den Gästen einen Aufenthalt angenehm zu machen.

 

Nach soviel Lob für den Verschönerungsverein, das kein Kompliment nur war, sondern echt empfunden : Der Verschönerungsverein wie besonders auch der Rheinische Verein für Denkmalspflege und Heimatschutz oder der vorbildliche Wernerbauverein, sie alle haben Enormes für Bacharach geleistet, nach soviel Lob nun eine Frage, die mir auf den Lippen brennt, die ich nicht unterdrücken möchte, und die doch hierhin gehört.

 

Nach der Abtrennung des Verkehrsvereins, der städtischen Organisation des Fremdenverkehrs, hat der Verschönerungsverein da noch seine große Bedeutung wie früher? Wie sieht es heute mit dem Verein aus, dem Bürgermeister Hans Stamm zum 100jährigen viele Mitglieder zur Verbesserung der Lebensverhältnisse hier stets wünschte?

 

Ich glaube, daß die nicht mehr organisatorische Betreuung des Fremdenverkehrs, die ja ehrenamtliche Tätigkeit nicht mehr leisten kann, Kräfte frei setzen kann für andere vielfältige Aktivitäten, wie die Geschichte des Vereins sie wechselhaft ja stets hatte. Neue Inspirationen, Innovationen, Phantasie, Anregungen, aber auch Zähigkeit und Ausdauer wünsche ich dem Verein, daß vielleicht ein Redner zum 250. Jubiläum im Jahre 2123 auch über Bacharach wird reden können und es wird ein ganz anderes Bacharach sein oder doch dasselbe?

 

Aktivitäten setzen Bewußtsein voraus. Bewußtsein für die Gestaltung der Lebensverhältnisse, geschichtliche Einblicke, Erhaltung der Natur, aus Liebe zur Heimat.

 

Ja, was ist Heimat? Diese Frage wäre eine extra Vortragsreihe. Wie ändert sich das Heimatbewußtsein, war es gebrochen worden durch zwei Weltkriege, sind die Wunden wieder glatt touristisch zugelackt worden, was ist Heimatbewußtsein in einer mehr anonymen mediengesteuerten Massen- und Konsumgesellschaft, die ja allein in Arbeitsplatzsuche Freizügigkeit ohne Orts- und größere Familienbindung fast voraussetzt? Eine Gesellschaft , die auch ihren eigenen Föderalismus verrät, wenn sie Bayern oder Rheinlandpfälzer in unsinnigen Verfahren zum Beispiel zu Zwangshessen degradiert, nur weil sie sich dort aufhalten.

 

Fragen wir lieber was war, ist, wird Bacharach? Jener Ort, dessen Namen so dunkel dreifach klingt, wie wir einem Aufsatz entnehmen können, der selbst keltisch geschrieben zu sein scheint, so unverständlich schwerfällig geschrieben, ein keltisches Wort. Aber Jahrhundertelang als Bacchi ara gedeutet als Altar des Bacchus. Und schon sind wir mittendrin zwischen historischer Wirklichkeit und mythischer Fiktion. Und da befindet sich Bacharach immer, wird es sich immer befinden. Sei es als Herkunftsstadt der Loreley "Zu Bacharach am Rheine wohnt eine Zauberin", des Brentanoschen Mythos, mit dem Bacharach in die Weltliteratur Zugang fand, sei es als Rabbistadt Heinrich Heines, als urälteste Stadt Victor Hugos, als romantischer Ort, an dem Carus sein Deutschland, seine Heimat gefunden. Bacharach liegt nicht nur am Rheinstrom, es liegt immer auch zwischen mythischer Fiktion und historischer Wirklichkeit. Bacharach regt aus vielerlei Gründen zur Mythenbildung an.

 

Seine Glanzzeit wovon Burg und St. Peterskirche noch zeugen, als Pfalzgrafenwiege war nur von kurzer, aber entscheidender Dauer, als der Pfalzgraf hier residierte und Hildegard von Bingen hier Irmtraud besuchte.

 

Bacharach als Hochzeitsstadt, nicht nur die bekannte und in dem Bestseller Friedrich von Heydens "Wort der Frau" besungene Welfen- und Stauferhochzeit. Auch der mächtige , reliquiensammelnde, das Reich zu erneuern versuchende Karl IV, Neffe Balduins von Trier, heiratete hier.

 

Warum also die Diskussion, welcher Brunnen am Marktplatz, abstrakt modern nichtssagend oder mit Wappen, deren Namen keiner mehr kennt? Warum kein Hochzeitsbrunnen? Agnes und Heinrich, Karl IV, Anna würden sich freuen und manches heutige Hochzeitspaar auch, das auf seiner Hochzeitsreise Pfennige in den Brunnen dann hineinwerfen würde, um wiederzukommen.

 

Warum bei neuerschlossenen Straßen auf den Höhen irgendwelche krampfhaft gesuchten Namen und kein Erinnerungsmoment und Dank an Brentano oder Heine?

 

Bacharach die alte Pfalzgrafenwiege wurde schnell von weither verwaltet. Ein Modell mittelalterlicher Kompliziertheit und Herrschaft für den Schulunterricht. Pfälzischer Amtmann und kölnischer Schultheiß, fränkisches und römisches Recht stritten hier miteinander, der lachende Dritte zwischen Pfalz und Kurköln war der Viertälerrat, der somit mehr städtische Freiheiten und Rechte abbekam.

 

Katholiken dann und Protestanten, Lutheraner und Calvinisten, Schweden und Spanier, ja selbst bei den konfessionellen Friedhöfen die verschiedenen Gespenster nachts dann, Glockenkämpfe, Müller und Schmidt, extra erfundene Familiennamen, sie alle bewiesen, wie man sich auf engstem Raum bekämpfen, bekriegen und zur Hölle sich das Leben machen konnte. Mauerkämpfe durch Zeiten hindurch, Mauern durchzogen die Köpfe stets, gaben nicht nur Schutz und Geborgenheit.

 

Unser Winand von Steeg zog nach Koblenz, bei allem Verdienst um den Weiterbau der Wernerkirche, wir würden heute sagen, glücklicherweise scheiterte er mit der Heiligsprechung seines Zöglings, der selber unschuldiges Opfer als wohlriechende Leiche für Pogrome an Juden in den Nachbarstädten öffentlich ausgestellt und serviert wurde.

 

In diesem engen Rheintal , in dem die Fläche für Stadt und Einwohnerzahl ja stets gleich blieb, konnte trotz großer Weinmärkte, herrschaftlicher turmreicher Stadtmauer, Kaiserbesuche, doch Renaissance und Barock sich nicht so entfalten. Es blieb mittelalterlich gothisch, Fachwerk und duster, so daß die Romantik das Vorgestern, der Entwicklung Zurückgebliebene als Ursprünglichkeit wieder entdecken und feiern konnte.

 

Wie andere rheinische Kleinstädte hier leidet Bacharach speziell an einer Nicht-Einbettung in einen mittelrheinischen Flächenstaat, den die Geschichte nie zuließ. Dies weder Balduin von Trier noch Katzenellenbogen und Hessen-Rheinfels gönnte. Unglückliche Zersplitterung bis heute die Folge davon.

 

Der Rhein ist heute - auch in seiner zeitungsmäßigen Zersplitterung- mehr Grenze als je. Das gegenüberliegende Ufer Fremdland, Ausland schon. Aber das war ja auch schon so zu römischer und napoleonische Zeit.

 

Hat Bacharach noch zur Preußischen Rheinprovinz gehört, davon kulturell sehr profitiert, gerade auch der überwiegend protestantische Anteil, kein Zufall, daß Pfarrer Theile die preußisch geprägte Stadtchronik schrieb, so ist Bacharach nun Bingen-Land oder Rhein-Nahe wie sich das nennt, was doch wohl im Verwaltungssitz mehr Nahe als Rhein ist. Bacharach dem Mainzerischen zugeschlagen, was es nie war. Seine Verbindung zu Oberwesel, zur alten Kreisstadt St. Goar künstlich unterbrochen. Nicht nur in seinen heutigen Kreisgrenzen, sondern auch in seiner Verbandsgemeindegrenze ist es ein Unding. Mögen da auch Zeitungen und Autoren in Schullesungen und Heimatblättern das alles noch jubiläumshaft feiern, wobei sie keinen Platz für Minderheitenmeinung zulassen, die aber Mehrheitsmeinung war und trotz der Verwaltung auch bleibt.

 

So wie man auf großer Ebene über die Wiedervereinigung Deutschlands sich freuen kann, so kann man aber auch sagen : "Was nicht zusammengehört, wächst auch nicht zusammen." Bacharach und Münster-Sarmsheim werden dafür immer ein Beispiel im Kleinen bleiben. Wenn dem aber schon so ist, so sollte man versuchen, durch Aktivitäten und vermehrte Anstrengungen das zu kompensieren.

 

Für den Mittelrhein, seine kulturelle Idendität, ja auch für seine touristische Vielfalt und Repräsentation ist die Verwaltungszersplitterung Grundlage folgenreichen Mißmanagements, des Aneinandervorbei. Daß sich die verschiedenen Landräte da mal treffen und plaudern, Kommissionen bilden lassen, ändert nicht viel. Was in Kaub passiert oder gegenüber genau in Lorchhausen, steht schon nicht mehr in der Zeitung hier. Selbst bei Beerdigungsanonncen erreicht man zwar Kreuznach und Ingelheim, aber nicht die Mitpatienten in Oberwesel oder die Bekannten in St. Goar.

 

Und die Rheinzeitung scheint sich vom Rhein verabschiedet zu haben. Rhein-Hunsrück Zeitung nennt sie sich nun hier und man weiß nicht, schreibt sie das Rhein mit h dabei noch oder ist sie schon eine reine Hunsrückzeitung geworden?

 

Dort auf dem Hunsrück ist jetzt die Autobahn, der Strom der Zeit, Industrieansiedlung und die Städte hier am Strom werden zum Hinterland.

 

Die Stadtbürgermeister in den kleinen Städten am Rhein haben die Arbeit, wenig Bezüge und stecken die Prügel ein. Viele haben immer noch nicht verstanden, daß viele Kompetenzen längst beim Verbandsgemeindebürgermeister liegen, der sich bequemer zurücklehnen kann in seinem entfernteren verbeamteten Sessel. Aber erfreulicherweise ist ja heute Herr Verbandsbürgermeister Fels hier bei unserem Jubiläum anwesend.

 

Bacharach, längst kein Weinbauamt mehr, keine Schule mehr, von einer Lateinschule unter Carl Theodor ganz zu schweigen, kämpft heute um den Erhalt seines einzig noch übriggebliebenen Lebensmittelladens. Rüdesheimer, Herter, Paffe Fritz die Geschäfte in der Unnergaß alle schon weg, auch die Obergaß zeigt schon Lücken. Wie Sie sehen, wir sind in der Jetztzeit angelangt. Was für Häuser kann man nicht alle kaufen? Auch das meines Urgroßvaters letztes oder vorletztes Jahr verkauft. Und es kaufen sie keine Einheimische mehr, sondern Fremde, falls sie einer kauft, es gibt ja auch große brach liegende Gebäudekomplexe.

 

Man geht in die Stadt einkaufen, das hieß mal nach St. Goar oder Bacharach. Heute heißt es Genossinnen oder allenfalls Oberwesel. Die großen Weinfirmen sind so gut wie passe, Arbeitsplätze auch.

 

Bacharach hat kein Museum, nichts wurde daraus um 1910, und das Fuchssche, ja Bertil Fuchs verdanken wir hier ja die schöne Kulisse, das Fuchssche Mittelrheinmuseum ist in Japan zu besichtigen.

 

Bacharach hat kein Museum, Bacharach ist ein Museum.

 

Meine Damen und Herren lassen sie es nicht dazu kommen, es wäre der Tod einer Stadt Museum, Fassade, Attrappe zu sein. Keine potemkinschen Städte ausgelaugter, verdünnter Rheinromantik.

 

Eine Stadt braucht eigenes Leben, Handwerk, Geschäfte, Erneuerung und Arbeit, um auf Dauer auch Fremdes anziehen zu können und nicht touristisch einseitig zu veröden. Die Gefahren der Zukunft gilt es anzudeuten.

 

Das Altwerden und Sterben meiner Eltern hier hat mir gezeigt, wie wichtig eine gewachsene Nachbarschaft ist. Bacharach darf nicht zur Spekulationsanlage oder im Einwohneranteil zur Wochenendstadt des Großraums Mainz/Wiesbaden werden. Touristisch jedoch kann es für den Großraum Frankfurt/Mainz/Wiesbaden interessant sein.

 

Bacharach wie es war, ist und nie mehr sein wird. Nun, das gibt und gab es immer. Die Stadt liegt am Strom und der fließt. Alles geht und Neues kommt und bleibt vieles doch ein Atem vielleicht der Kontinuität und Entwicklung.

 

Nun, wir sind im Eiltempo hier durch die Geschichte gestrudelt, in der Jetztzeit angekommen, und um keinem Hochwasser, keiner Überflutung zu erliegen, aber auch keinem Niedrigwasser, weiter soll der Vortrag ja fließen, aber nach paar Stichpunkten dann eher jetzt, um der Fülle des Stoffes nicht zu erliegen.

 

 

 

19. Jahrhundert

 

Über das 19. Jahrhundert können wir uns ein gutes Bild hier von Bacharach machen. Die Familien bewahrten vieles, sammelten auch wie Hütwohl. Hier aus dem Nachlaß des Posthofes von Emma Wasum besitze ich noch die Familienbibel, Schulaufsätze, Einladungen, Quittungen, Rechnungen, Schriften, Postkutschenprotokolle, Kochrezepte, Konfirmationssprüche, das Ölbild der alten Hausherrin um 1820, Handarbeiten und viele Kleinigkeiten mehr. Weit weniger anschaulich gelingt uns ein Bild für die Zeit vor den französischen Umwälzungen des Code napoleon. Das Jahrhundert, in dem unser Verschönerungsverein gegründet worden, viele andere Verein auch, preußisch geprägt, Jahrhundert der Romantik, der Dampfschiffe und ersten Züge, des langsam beginnenden Tourismus hier. Aber es war auch ein Jahrhundert mit Hungerjahren und der Auswanderungen nach Amerika. Hier gab es in Bürgerinitiative eine Armenküche und mal wieder der Streit darum, wer verköstigt werden soll, ob angebliche Faulenzer auch oder nicht. Gegen Ende des Jahrhunderts in einer Blütezeit bis zum ersten Weltkrieg schien Bacharach zu erwachen. Große Weinfirmen bauten ihre gewaltigen Keller. Brandkatastrophen durchwüsteten im 19. Jahrhundert die Stadt. Und man sollte diese, wie spätere auch, nicht verharmlosen. Es war nicht nur für die Kinder traumatisch, sondern ruinierte Familien. Das 19. Jahrhundert prägte das Geschichtsbewußtsein hier am Rhein, Chroniken entstanden, die Schriften W. O. von Horns, Restaurierungen schritten voran. Düsseldorfer Maler regten gegen Ende des Jahrhunderts meinen Großvater zum Antiquitätenhandel an, der korrespondierte mit Schnütgen oder Clemen. Verkaufte Funde ins Bonner und ins Mainzer Museum. Seine Bücherei zeigt, was das 19. Jahrhundert auch war, das Jahrhundert von Autodidakten mit Forscherdrang und einem riesigen Wissensinteresse universaler Art noch. Es war das Jahrhundert der Lexika und Groschenbibliotheken gesammelter Klassiker. Billig heute, Texte aus dieser Zeit unerlaubt aus dem Zusammenhang zu reißen und diffamieren zu wollen, das fällt auf den betreffenden Hobbyhistoriker dann selbst zurück, der das 19. Jahrhundert erst mal erreichen muß. Das 19. Jahrhundert prägt bis heute die rheinischen Städte noch sehr, sei es im Stadtbild oder bewußtseinsmäßig. Sei es auch durch das Ende der Zunft und der Gründung der Handwerkerbetriebe und vieler Weinfirmen hier.

 

 

20. Jahrhundert

 

Eine Revolution steht am Anfang. Eine wunderbare. Eine der Jugend. Gewaltlos und doch das ganze Leben verändernd. Die hier am Mittelrhein noch unaufgearbeitete Jugendbewegung und Wandervogelzeit. Wer die Bilder sich ansieht der Feiern, Tanz- und Singspiele auch der weiblichen Jugend, weiß, daß die Winzertrachtengruppe, Blütenkranz, Krone, Bändertanz und vieles mehr schon vorweggenommen ist. Von Berlin, von überall her zog es die Fahrenden, Singenden, Trabanten, Bacchanten, Nerother, all diese Zugvögel auch an den Rhein. In ihnen den Wandervögel, Aufbruch einer Jugend aus Verkrustungen und erstarrten Normierungen war, wenn oft auch unbewußt, das Erbe der Romantik lebendig wie die Suche wieder nach Freiheit, eigener Lebensgestaltung, Einfachheit, und Nähe zur Natur. Es galt die individuelle Ausstrahlung , nicht der gesellschaftliche Rang. Wandervögel besuchten das Grab der Günderode in Winkel, der fast vergessenen Dichterin vom Rhein.

 

Das 20. Jahrhundert: in einem fast absurden Marionettenspiel steht Sarajewo , Balkankrise am Anfang und auch wieder am Ende.

 

2 Weltkriege ändern radikal die Lebensverhältnisse auch hier. Nach dem zweiten : eine Kluft zwischen Tätern und Opfern tut sich auf. Gegen Ende kommt das Jahrhundert erst dazu, das zu verdauen. Nach dem 2. Weltkrieg galt der Wiederaufbau, die Stunde Null, die Kontinuität von Heimatgeschichte unterbrochen. Ein Verfasser der mit besten Doktorarbeit über Bacharach im Krieg gefallen und vergessen, Braun. Wenige einzelne Personen betreiben die Heimatgeschichte hier weiter, Wagner, Conrad.

 

Ende Mai in Litauen hab ich für mich den Zustand unserer Gesellschaft am Ende des 20. Jahrhunderts so formuliert: Wir haben alles, nur nicht uns selbst. Wir sind arm in unserem Reichtum, während andere , wie in Litauen, reich in ihrer Armut sind.

 

 

Die letzten Jahre

 

Die Konfessionen fanden noch näher zusammen. Bei meiner evangelischen Kirche hatte ich den Eindruck, daß mit jedem Pfarrerwechsel eine neue Gemeinde und neue Religion entsteht. Der neuen Pfarrerin wünsch’ ich daher sehr viel Dauer und ihrer wunderbaren klangvollen Singstimme weiterhin Kraft. Die gelungene Restaurierung der St. Peterskirche ist mit ein sehr großes Verdienst von Pfarrer Rempel. Seiner Frau verdanken wir, daß sie uns aufgezeigt hat, was es heißt, welche Auswirkungen es hat, wenn bei einer schmalen Personendecke hier kirchliche Autorität, politisches Parteiamt. Pressewesen und andere Funktionen in nur einer Hand sind.

 

Dem Verschönerungsverein sei auch immer ans Herz gelegt die Bedürfnisse alter Leute hier, die bei einem Wechsel in ein entferntes Altersheim ihre ganze gewohnte Lebensumgebung hier verlieren. Um so unverständlicher mir, welche enorme Schwierigkeiten rheinland-pfälzische Kirchturmpolitik im Einfluß mächtiger Wohlfahrtsverbände einem freien Unternehmen hier machen wie dem des vorbildlichen Pflegeteams von Ingbert Ochs. Mit Blick auf Neurath möchte man fast sagen, es kann ja nicht alles die Caritas bekommen.

 

Schöne Filme über Bacharach entstanden. Fritz Bastian, dem Inselbesitzer, mit dem ich am spannendsten an einem Sylversterabend mal Bacharacher Dokumente gelesen habe, möchte ich nett grinsend sagen, es kann ja nicht alles Treibgut sein, sonst wäre ja schon alles wieder weggeschwemmt und die Insel hätte keinen Halt. Gewachsener Fels muß auch sein.

 

Daß die Landschaft hier weiterhin ein Gespräch, Anregung zu neuer Wahrnehmung sein kann, zeigen Künstler für mich wie Sylvia Beck, Schüler, das Ehepaar Metten, Victor Sanovec. Vertraute Landschaft ist mir wieder lebendig geworden in den präzisen Schilderungen des hiesigen Jagdpächters Prof. Dr. Voth. Und die extremen Naturschützer werden auch erkennen, daß das Disneyland Mittelrhein auch Menschen mit ihren Bedürfnissen aufweist, nicht nur Fledermäuse.

 

Ein Geschichtsverein wurde gegründet. Eine Stadtsanierung fand und findet statt. Der Posthof hier renoviert. Eine Chronik erschien, in der ich aus vielerlei Gründen noch nicht hineingeschaut. Eine Gedenktafel wurde enthüllt. Noch eine. Die Wernerkapelle feierte das Ende ihrer Renovierungsarbeit und eventuell auch das Ende gewisser geschichtlicher Verdrängungskünste. Die Geschichte der Stahleck im 2. Weltkrieg aufgearbeitet von ganz oben, sogar die Kreisvolkshochschule arbeitete auf einmal auf, bewegte sich, wohl weil es von oben kam, von einer politischen Bildungszentrale. Die Beispiele zeigen, vieles passierte auch in den letzten Jahren. Wie schön wäre es, ja auch das ist ein Verschönerungswunsch, wenn den Ereignissen auch stets kritische Reflexion folgen würde.

 

Wir sind bei Themen angelangt, die extra Vorträge wären. Die Stadtsanierung. Vergangenheitsbewältigung. Geschichtsbewußtsein. Kunst am Mittelrhein. Und alle diese Themen wären für den Verschönerungsverein auch von großer Bedeutung. Denn dem Verschönerungsverein stellt sich bei künftigen und schon jetzigen Entwicklungen eine große Aufgabe, beizutragen zu einem Blick und Bewußtsein der eigenen Heimat und ihrer Gestaltung. Gerade weil auch sehr begrüßenswerte Projekte wie das UNESCO Weltkulturerbe-Programm für den Mittelrhein oder die Stadtsanierung immer das Risiko bergen, über die Stadt und ihre Einwohner gestülpt zu werden wie Kaffeemützen, Kondome oder allzu große Hüte. Ein Austausch findet dann oft nicht statt, der aber ist notwendig, soll sich in der Entwicklung etwas befruchten und nicht verhüten. Die Zuständigkeit ortsfremder Behörden, Mainz oder Worms, Sanierungsbüros usw. Darf nicht dem Bürger die eigene Sicht nehmen, auch wenn er neue Fenster bekommt, für seine aktive Gestaltung seines Lebensumfeldes. Hier haben die Vereine, der Zusammenschluß freier Bürger und Bürgerinnen, ihre wichtige Aufgabe, gerade in einer allzu verwalteten bürokratisierten Welt. Ich selbst bin 2. Vorsitzender eines großen literarischen Vereins, ich weiß, wie ehrenamtliche Tätigkeit zu Lasten der Ehefrauen und Familien geht. Es gibt aber auch immer ein Verein, der diese Sorgen nie hat, der wäre auch eines eigenen Vortrags wert, das ist der Zerstörungsverein, der funktioniert heimlich unorganisiert von alleine. Schritt für Schritt auch hier. Der unnötige sinnlose Abriß des Wahrschauerhäuschens, diese auch landschaftliche Nadelspitze an der scharen Biegung des Flusses, nur ein Beispiel von vielen. Ein bedeutender Immobilienmakler sagte einmal zu mir, bei einer Immobilie kommt es erstens auf die Lage an, zweitens auf die Lage an und drittens auf die Lage an. Bei einem Verschönerungsverein möchte ich sagen, kommt es erstens auf die Augen an, zweitens auf die Augen an und drittens auf die Augen an. Und die Augen sind auch nicht ersetzbar durch fremde Gutachten.

 

Schönheit hat auch mit Wahrhaftigkeit zu tun. Es gibt schon einen Unterschied zwischen der Venus von Mil. und einem Porno. Man kann auf Dauer nicht in falschen Kostümierungen, Lügen und Verdrängungen leben, das lähmt Kräfte zur Gestaltung der Heimat. Geschichtsaufarbeitung ist da schon notwendig. Auch wo Geschehnisse sehr schmerzhaft waren. Nicht aus Mitleid nur, sondern um aus den Perspektiven der Opfer, aus deren Wahrnehmungen etwas zu lernen über die Gefahren des Kollektivs.

 

 

Das Kentern des Nachens

 

Ich sperrte mich gegen Bacharach als es verdrängte. Als es sich auf einmal versöhnte, war ich auch wieder im Abseits. Wie kommt das? Waren es nicht nur die Widersprüche, die ich dabei wahrnahm, alte Wunden noch, daß man den einen Opfern gedenkt und wieder den andern nicht, den Opfern ihre Vergangenheit nimmt, die immer arm gedemütigt einzeln dran waren, ihnen auch die Schatten ihrer Verdrängungen nimmt, auf einmal war das alles so schön religiös, friedlich, offiziös, glatt, feierlich, von oben abgesegnet und ich soff des Nachts vorher mit Lust mit einem rechtsradikalen jungen Arbeitslosen , hörte dessen Musik und verstand, wir können nicht immer 50 Jahre zurück hinter her hinken mit den Bemühungen unseres verspäteten guten Gewissens, unserem allzu späten Mut. Zwar wird’ ich mich um das Grab in Rheindiebach noch kümmern, dessen, der 1941 vergast wurde und den der Geschichtsverein in seiner Veröffentlichung einfach schon im 1. Weltkrieg fallen ließ.

 

Warum hab ich als Gründungsmitglied des Geschichtsvereins den Beitrag über Literatur für die Chronik nicht geschrieben, weil Literatur mir sehr wichtig ist, frei und ich mir nicht nachsagen lasse, ich hätte mich nur aufgedrängt. Wie ich noch verärgert war über das unselige Gerangel, all die Briefe um die Gedenktafel, die zeigten, welches Umsonst der Opfer eigentlich hier im Raum steht.

 

Man kann auch schlecht meinen Onkel in einem Heft als Opfer erwähnen, in dem gleichzeitig die Durchhalteparolen des damaligen braunen Bürgermeisters unkritisch zitiert werden, der selber schwer dafür büßte, und der über vergaste Irre sagte, die fressen ja auch für drei.

 

Ja, aber das alles ist es auch nicht. Wenngleich ich meine Empfindsamkeit weder leugnen noch missen möchte. Die Ungenauigkeiten könnte man korrigieren. Das alles ist es nicht. Auch nicht der Schock als mir Dokumente in die Hände fielen, die plötzlich ganz andere Fragen stellten.

 

Ein Schriftsteller, auch wenn er hier in seiner Heimat, der Gegend Stefan Georges, nie existieren könnte, hat eine andere Funktion. Wenn alle sich in einen Nachen auf nur eine Seite setzen, setzt er sich gegenüber. Es gilt, das Kentern des Nachens zu verhindern.

 

 

Zugluft

 

Bei diesem offenen Ruinencharakter der Wernerkapelle mit ihrem romantisch schönen und tragischen Schicksal hier oben, wo die Zugluft durch die hohen offenen steinigen Fenstergerippe und den abgebrochenen Flügel streift, mit Blick auf die alte Synagoge noch, fürchten da nicht die Hausärzte, daß sich mancher bei einer Veranstaltung hier einen steifen Hals holt?

 

Es bedarf dieser Furcht nicht, eine geschickt angewandte Wendehalstherapie verhindert einen steifen Nacken.

 

 

Verschiebung der Perspektive

 

Bei der nicht kleinen Sammlung Bacharacher Ansichten, die selbst sehr seltene Blätter enthält, hatte ich noch nie das Panorama Bacharachs so verrückt nach Norden gesehen. Erst beim Lesen dieser Broschüre, die jenes ungewohnte Bild auf ihrer Titelseite trug, wurde mir klar, es verschob sich alles vom Posthof und Marktplatz weg zur Rosengaß, der kam nicht nur eine große Bedeutung zu, sondern auch noch Tiefgaragen und dergleichen mehr. Eine rheinische Kleinstadt mit ihren Winkeln, Engen, Bürgersteigen, Platznot wurde da ausgehöhlt und ausgekernt, Bibliotheken oder Kulturtreffs entstanden da auf einmal mit bezahltem Personal. Parks wurden geschaffen inmitten der Häuserviertel zwischen den Seitenstraßen, die diesen Platz zumindest schon für die im Keller nicht lagerbaren Öltanks unter Terrassen brauchten. Ich befand mich nicht im Traum. Diese Broschüre existiert wirklich. Es war das Konzept der Stadtsanierung. Heute frage ich mich, bei aller Anerkennung, daß Bacharach durch die Stadtsanierung zweifelsfrei gewonnen, aber auch illustre pittoreske Ansichten verlor wie die kleinen Bürgersteige, die kleinen Seitenfensterchen an den Posthoferkern, die romantisch verwinkelte Eingangsfront mit Stiege und schrägem Kellereingang von Datsche Emma, heute frage ich mich, haben die Stadtsanierungsdamen wirklich vom gegenüberliegenden Ufer aus die Hochziehung des Dachgeschosses des Parkcafés begutachtet, nicht von der Schiffsanlegestelle her, kam das wirklich nicht in den Bauausschuß, war der Stadtrat sich mal wieder geschlossen einig bei so wichtigen Entscheidungen? Eben erfahre ich, die Vorwürfe seien eher der Kreisebene als der Stadtsanierung zu machen. Ja, von den Häusern der Oberstraße her hätte man leicht erkennen können, daß der monströse Dachausbau den mittelalterlichen Turm gänzlich schluckt und die Stadtsilhouette verunstaltet. Ja, Stadtsanierung setzt eigentlich das Gespräch mit den Bürgern voraus und Stadtratspolitik auch. Darum geht es mir. Ich finde schlimm, wenn das verlorengeht. Ob die Entscheidung dann wie in diesem Fall richtig oder nicht war, weiß ich wirklich auch nicht so zu sagen, abzuwägen, kann nur meine Meinung dazu äußern, aber ich halte es für wichtig, daß den Bürgern eine Meinungsäußerung in so entscheidenden Eingriffen eingeräumt wird. So nur ist Auseinandersetzung und Gestaltung einer Stadt möglich. Hier fällt mir immer wieder die Gerüchteküche auf. Liegt diese nicht auch an der falschen Informationspolitik der Verwaltung. Politische Parteien sollen doch zur Meinungsbildung beitragen, ihre Vertreter den Wählern verantwortlich nicht hier verschwiegene taktierende Landvögte spielen wollen. Wenn bei wichtigen Projekten das einfach ohne öffentliche Auseinandersetzung über die Bühne gezogen wird, ist das doch peinlich, wenn im Wahljahr die Parteien durch künstliche Themen sich abzugrenzen versuchen. Haben diejenigen Leute so unrecht, die meinen, daß Stadtsanierung sich nur die reichen Einflußreichen leisten können, die können die Gelder beanspruchen, weil man ihnen weniger vorzuschreiben versucht, während dem Nachbar schon bei kleinsten Angelegenheiten Ärger bereitet wird. Was da um den Marktturm rum zwischen Hauser und Scherschlicht passiert, läßt Fragen offen. Auch eine Stadtsanierung bedarf der Glaubwürdigkeit.

 

 

Geschenke

 

Wie Bacharach immer auch Rätsel noch verborgen hält, zum Beispiel das wunderbare turmbekränzte Haus auf dem Merian im Gäßchen zwischen Wenderoth und Gans, ein altes Foto zeigt nur noch eine Mauer, was war es?

 

Wie Bacharach zugeschüttet verborgene Brunnen besitzt, holt es immer auch Geschenke aus seiner Tiefe hervor. Vielleicht als Ausgleich für uns, daß bei der vorletzten Renovierung der St. Peterskirche der Engel im Seitenschiff, dieser Seraphim mit seinem Federkleid wunderbarer Flügel einfach für immer weggeätzt wurde, Verlust eines wirklich schönen wunderbaren alten Freskos, die Gesichter der Kapitellabschlüsse sich so gänzlich änderten, der Raum der Kirche nicht mehr durch Schriftbänder des Vaterunsers durchzogen, wurde uns plötzlich etwas geschenkt : die bei der letzten Renovierung frischen Farben des Gottgnadenstuhls. Ein seltener Zufall der Erhaltung. Auch Bacharach hatte somit einen Ötzieffekt. Aus der Tiefe der Zeit, jahrhundertelang zugemauert, im 19. Jahrhundert kurz mal erblickt wie Notizen mir andeuten, tauchten sie plötzlich auf. Und wir erfuhren, daß unsere christlichen Vorfahren keine Scheu hatten, Gott einfach zu köpfen, um den Lichteinfall der irdischen Fenster zu vergrößern und was sollten sie mit einem kopflosen Gott und so mauerten sie ihn zu und uns scheint, glücklicherweise ist er jetzt wieder zugeschüttet, daß er uns ansieht so betroffen sind wir von dieser Entdeckung, daß er uns ansieht aus der Tiefe der Zeit und hat doch gar keine Augen, keinen Kopf.

 

 

Zauber

 

"Zu Bacharach am Rheine wohnt eine Zauberin ..."

 

Etwas Zauberhaftes scheint immer wieder hier in Bacharach aufscheinen, gegenwärtig sein zu können. Wein verzaubert die Sinne. Die Landschaft verzaubert die Wahrnehmung. Je nach Frühnebel, Sonneneinfall oder Mondlicht. Liebe verzaubert die Menschen. Musik vermag dies auch. Blaue Veilchen im Alten Haus oder eine Rose, die durchs Fenster kam geflogen oder der Zauber fallender weißer Kirschblüten. Das Mondlicht, das auf den Wellen des Rheins tanzt oder das Glitzern der Schieferdächer in der Mittagssonne. Der regennasse Efeu oder der plötzliche Lichteinfall durch geöffnete Luken hindurch in die Enge alter Gassen. Man spürt genau, ob eine Kultur vom Wein geprägt ist oder vom Bier, merkt dies nicht nur bei Fahrten der Winzertrachtengruppe zu den verschiedensten Festen. Wie heute noch im Walliser Rhônetal oder in Istrien gehörte zum Weinanbau noch die Kultur des Obstanbaus, Aprikosen, Pfirsiche, die leider hier verloren gegangen ist.

 

Bacharach vermag einen Zauber auszuüben.

 

Was ist das Geheimnis solcher Magie?

 

Die sich vielleicht dem Publikum nicht erschließt, das sich vom Rhein weg zu Ballermann6 auf Mallorca verzogen hat.

 

Zauber und Mythos. Rausch und Helle.

 

Dionysos-Bacchus läßt sich hier, wo er Heimstatt gefunden hat jahrhundertelang in seinem Bacchi ara, nicht von mäßigen Trinksitten Phantasieunbegabter vorschreiben, wie er zu sein hat, welche Geschenke des Rauschs, des wahnsinnigen auch, des Rauschs und der Verzauberung, der Wildnis und der ich-zerreißenden Kräfte er dem Einzelnen schenkt. Professoren der Altphilologie wie der mir gut bekannte emeritierte Dionysosforscher Prof. Dr. Wimmel oder Dichter stets wie Hölderlin oder Schriftsteller wie Ernst Jünger ahnten mehr von der mythischen Dimension und dem Abgrund der im Rausch verborgen sein kann. Im Wein liegt schon Wahrheit, auch über sich selbst, weil man dann sich selbst nicht nur ist, vielleicht auch eine alte Krone im Rhein, wenn mit dem Tyrrusstab der efeuumkränzte Gott begleitet von seiner Sartyrenschar Ankunft feiert.

 

Wein, aber auch Schönheit kann verzaubern, Blicke blenden.

 

Schönheit aber ist sehr verletzbar. Sie beruht auf Harmonie, die leicht zerstörbar ist. Wie bei Kunstwerken, Musikstücken ein Detail das Ganze mitzuprägen, auszumachen vermag, nimmt man das weg, zerstört sich das Ganze. Bei gelungenen Gedichten nicht anders. Karl Korn schilderte einmal den Reiz des Mittelrheintals als die Spannung, daß bei den vielen Zeugnissen der Zivilisation, Burgen, Kirchen, Kapellen, Türme doch die erste Natur überwiegt, Berge und Fluß.

 

Die Besonderheit Bacharachs, das Geheimnis seines Zaubers, sind nicht die einzelnen Objekte, seien sie auch noch so einzigartig wie St. Peterskirche, Wernerkapelle oder Altes Haus. Das Geheimnis liegt in dem Ganzen.

 

Kinderaugen erblicken das sofort.

 

Eine idealtypische Stadt, wie sie kein Bilderbuch erfinden kann.

 

In der Bacharacher Muschel gelegen, wo der Strom ein großes Seichtufer schafft, daher Platz für Rheinanlagen, wo der Strom eine scharfe Biegung nimmt, auf Bacharach zufließt und dann wieder weg, anders als in Oberwesel nicht kanalartig vorbei. Oben die Burg, in der Mitte St. Peter, auf halber Höhe die Wernerkapelle, der Mauerring , der sich hochzieht, eingebettet das alles in die Berg- und Flußlandschaft. Das zauberhafte Sich-öffnen einer Muschel, in der die Stadt liegt, von der das Steeger Tal sich weit erstreckt vor der enggestaffelten, dem Posten folgenden, tallosen felsigen Bergreihe der Pfalz zu.

 

Und mitten im Rhein liegt in dieser Muschel, in der der Rhein sich wie ein See zu verbreitern scheint, Ankunft zu feiern scheint auf seinem langen Weg, Atem holt : die Insel.

 

Wenn Sie aus Spaß das Stadtpanorama von Sutherland umdrehen, liegt Bacharach nicht nur in einer Muschel, sondern in einer Höhle, Zaubergrotte fast.

 

Darum ist das ja alles so leicht verletzbar, weil es auf Harmonie beruht.

 

Allein schon deswegen unerträglich gewesen das Hakenkreuz auf der Hitlerhöhe, das Bacharach zwang, die Stadt unterm Hakenkreuz zu sein.

 

Darum Vorsicht bei unkontrollierten Höhenbebauungen.

 

Darum den Malerwinkel vielleicht doch nicht so hoch und erst recht nicht die Verbarrikadierung der Sicht auf das Rundumpanorama der Wernerkapelle von der Nordseite her wie leider geschehen.

 

Und darum auch nicht das im letzten Jahr äußerst schnell hochziehende Aufstocken eines Hotels, das nicht nur den Blick auf die Wernerkapelle von der Schiffsanlegestelle her mindert, sondern die Proportionen zwischen der Höhe des Marktturms und der übrigen Dachlandschaft zu zerstören droht.

 

Ach wäre Bacharach doch nicht schön. Hätte keine Harmonie. Wieviel einfacher wäre es. Die Hotels könnten in den Himmel schießen und die Gäste sich alte Fotos ansehen von einer Stadt, die es einmal gab.

 

 

Schlußbetrachtung

 

Alle Anstrengungen am Mittelrhein, wie dieser Vortrag auch, sind auf Dauer sinnlos, wenn wir nicht finden zu einer Gesprächskultur, die die verschiedenen Wahrnehmungen aufgreift und austauscht.

 

Sich gegenseitig Brunnenvergifter zu schimpfen, mag momentan entladend wirken, ist aber keine Lösung auf Dauer.

 

Keiner hier hat ein Monopol auf Geschichte oder auf Heimat oder auf die allein richtige Sicht; kein Verein, keine Partei, kein Schriftsteller, kein Filmregisseur, kein Moderator.

 

Wo diese berauschende Monopolstellung angestrebt wird, lauert schon die Gefahr.

 

Gerade hier im engen Rheintal ist es für eine weitere Entwicklung notwendig, Gegensätze, Widersprüche, andere Wahrnehmungen, Einschätzungen und Erfahrungen zuzulassen, um nicht beim Stammtisch die Hände über den Kopf zu schlagen, daß doch alles die Bach runtergeht.

 

Ferne und Nähe kamen hier am Rhein immer zusammen. Die Liebe zur Heimat, zur Nähe der eigenen Herkunft, igelt sich nicht provinziell ein, sondern in der Begegnung mit dem Fremden, auch den Fremden, gewinnt sie ihre eigene Kraft und Gestaltung.

 

Ich selbst durfte mit den Augen europäischer Schriftsteller und Gäste, zwei davon mittlerweile Minister in Europa, Bacharach wieder neu sehen lernen und danke Herrn Bürgermeister Mießner, Herrn Eichner, Herrn Reiter, Frau Binz und dem Stadtrat für die schönen Empfänge im Rathaus.

 

Rheinische Kultur, wie das Christentum auch, das ja auch die Bedeutung von Wein in einem ganz anderen Sinne kennt, kann immer nur eine Gesprächskultur sein.

 

Und wenn manche Lokalhistoriker, egal wo, sich beklagen, die Jugend hätte kein Heimatbewußtsein mehr, sei nicht mehr so aufgeschlossen für die Geschichte. Nun, es sind oft dieselben Historiker die dafür sorgen, daß dem auch so ist, die in angeblich historischen Perspektiven und Besserwisserei sich flüchten, verbarrikadieren, um dem freien Atem des Jetzt zu entgehen.

 

Die Vergangenheit kann man nicht ändern. Die war wie sie ist. Nein, sie war wie sie war, muß es heißen, nicht ist. Doch wir wissen nicht wie sie war, nie. Wie sie ist, ist doch richtig. Unser Blick auf die Vergangenheit ist immer ein ist, ein jetzt. Nun sei wie es war oder ist, es ist vorüber, vorbei. Da hilft keine Schönfärberei, keine Verdrängung, keine Versöhnung. Niemanden macht man mehr lebendig. Den eigenen Umgang mit der Vergangenheit kann man nur ändern, niemals die Vergangenheit selbst. Das ist aber immer auch dann ein Jetzt, eine Frage der eigenen Gegenwart.

 

Der Verschönerungsverein ist der Gegenwart zugewandter. Seine Aufgabe ist es, die Gegenwart hier, den Aufenthalt oder das Lebensumfeld hier schöner zu gestalten, jetzt und hier und für uns selbst wie für die Gäste.

 

Bacharach wie es war, ist auch immer eine Frage, wie es ist jetzt, was unser Blick aus dem reichen Erbe, aus dem Licht und Schatten belebt; Mittelalter, Franzosenzeit, 2. Weltkrieg ändern sich da stets.

 

Bacharach, was es ist, ist auch immer ein, was es war, es hängt nicht im luftleeren isolierten Raum, es ist eine Stadt am Fluß der Zeiten, am Rheinstrom eben.

 

Bacharach, was es wird, ist auch immer eine Frage, wie wir damit umgehen jetzt mit dem ist und dem war, wie wir unser Leben jetzt gestalten, unsere Stadt, unsere Natur hier, wo später Kinder am Rhein spielen werden wie eh und je.

 

Es ist heute der 4. Juli. Genau vor einem Monat am 4. Juni paar Schritte von hier ist meine Mutter gestorben. Ihr möchte ich diesen Vortrag widmen. Sie wollte ihn noch hören. Obwohl ihr westfälischer Vater die Berge hier zu erdrückend und eng alles fand, eine Gegend, über die Stefan George sagte, wo ein Lied ihnen gelang, war es Klage, meine Mutter lebte ihr Leben in dieser Stadt. Nun bin ich wirklich ein Fremder und erfahre nicht mehr all die Neuigkeiten, die in aller Neugier diese Stadt auch immer ausmachen.

 

Was meine Mutter mir mitgab, war Frohsinn. Ohne diesen Frohsinn erlahmt auch das Leben jedes Vereins und jede Anstrengung. Möge der Frohsinn uns allen nützen. Ein alter römischer Segen: Prosit. Es möge nützen. Prost.