Zur Tagung "Dialoge wandeln anders" Marburg, 3.09.2007
Die Anwesenheit der Abwesenheit - Randschärfe sozialer und poetischer Wahrnehmungen Dialoge bestimmen uns, durchziehen unser Denken. Geführte und Nicht-geführte Gespräche. Gelungenes und Nicht-Gelungenes. Das Nicht-Gesagte oder Noch-Nicht-Gesagte ist anwesend auch, visiert sich an oder entschwindet. Wenn es nicht aufgegriffen wird. Splitter. Fragmente. Bruchstücke. Reste. Wortlose Pausen. Leerzeichen im Gedicht. Aus Scherben setzt sich Neues zusammen. Offen zu sein. Zuzulassen, das heißt gerade nicht zu, sondern auf-merksam auf noch Abwesendes. Zwischen den Gefügen der Worte schwingt untergründig -Abwesendes antastend - im Ungeordneten schon neue Sicht.
Auch wenn in einem kurzen Beitrag ich mich hier dem Thema der Abwesenheit stelle, freue ich mich doch, hier zu sein und Sie begrüßen zu können.
Hier in der Alten Aula, wo mir Gadamar noch vor Augen, seine lebendige Rede, als er spät hier den Ehrendoktor entgegennahm.
Länger als 10 Jahre ist es nun her, daß ich zum Tagungsthema "Soziale Poesie" den Eröffnungsvortrag hielt.
Damals waren anwesend in mir unvergessliche Diskussionen abends und nachts noch nach den Veranstaltungen Gianfranco Cecchin und Tom Andersen.
Sie sind präsent mir hier auch, zugegen, ihr Denken, Ihr Engagement, auch wenn sie allzu früh uns weggerissen wurden aus dem Leben.
Harlene Andersen sehe und begegne ich hier wieder, deren Anwesenheit mich immer sehr bereichert und erfreut.
Aber präsent sind mir auch, die heute hier nicht anwesend sind und die ich dankenswerterweise durch das Institut kennengelernt habe : Roswitha Schug und Karin Roth. Auch ihnen, deren Denken ich sehr schätzen gelernt habe, gelten meine Anmerkungen hier.
Unser Leben und unser Denken ist geprägt von Dialogen. Von geglückten. Als auch von nicht geglückten. Von stattgefundenen und nie stattgefundenen. Auch die Dialoge, die wir nie geführt haben, wozu wir nicht in der Lage waren, oder keine Chance uns dazu war, die verhinderten Dialoge prägen uns ebenso.
Abwesend, scheinbar nicht vorhanden, bestimmen sie mit, mit welchem Mut, Wagnis, welcher Hoffnung wir uns in unvorstrukturierte Dialoge begeben, in denen wir bereit sind, uns selbst auch in Frage stellen zu können.
Dialogbereitschaft hat einen hohen Stellenwert nicht nur bei der Tagung hier, sondern auch in der Gesellschaft, in Beziehungen, im Arbeitsumfeld. So hoch Dialoge auch geschätzt werden und ihnen Lösungsfindungen zugetraut werden, so dürfen wir doch nicht übersehen, daß bei allem Lob das Gegenteil mehr Wirklichkeit wurde. Dialoge finden einfach nicht statt. Der Kulturbetrieb ist oft nur ein kleines Beispiel dafür. Mobbing ein anderes. Wir rühmen Dialoge, aber in der Praxis wird einfach abgeschaltet, liegen gelassen, nicht erwähnt, wer und was uns stört. Keine Auseinandersetzung. Zensur findet nicht statt. Einfach unerwähnt lassen. Es geht hier nicht um Moralisieren, der gleichen nutzt nichts, sondern aufmerksam zu machen, was längst gesellschaftlicher Alltag wurde, Ausklammerung, Nichterwähnung. Wie oft erlebte ich das. So ist irgendwie mein Interesse für das Abwesende, nicht erwähnte Abwesende jeweils entstanden. Ich frage nicht nur, wer ist da, sonder auch, wer ist nicht da. Was fällt unter den Tisch, was, welche Ansichten, Perspektiven, Erfahrungen sind jeweils unerwünscht. Bei Jubiläen, Verdienstorden, Lobpreisungen, tönenden Reden, die stummen Blicke derer, die das Nichterwähnte nur mit kurzem Blick oder Zucken vielsagend austauschen.
Dialoge wandeln anders... ? dahin, daß das Abwesende auch integriert werden mag, zur Sprache kommt, Sprache finden und werden kann in einem Gegenüber, das es mit aufgreift.
In der Provinz, die Heimat propagiert, die in Kraft- und Freudezeit aufblühte, zu sagen, daß in derselben Zeit der Weinseligkeit, Volksfeste, dem Weltkulturerbe Mittelrhein heute, Menschen zu Schatten wurden, denen kein Dialog, Sprache und Atem dann war.
Im Elisabethjahr, leuchtende Herzen, Blues, - Schmus, bei allem touristischen Glanz : Hilflosigkeit und Gebrochenheit einer Frau, die kalte Seite der Macht, Inquisition und blutige Litauenheidenmissionierung nicht aus den Augen zu verlieren.
Dialoge sind nur dort interessant, wo sie zulassen die Schatten, und diese nicht verdrängen. Wo sie sich nicht beduseln weder im Höhenrausch noch in Wehmütigkeit.
Dialoge sind Stecknadeln, die die Seifenblasen platzen lassen.
Dialoge sind produktiv, wenn sie Schablonen verlassen, vertraute abgesicherte Teerunden auch, nicht bestätigen nur, sondern Scherben und Fragmente aufgreifen, auch wenn man an scharfen spitzen Kanten sich dabei kratzt.
Aber Masken vermögen sich zu lockern, künstliches Glas zerbricht.
Häutungen sind Dialoge. Sie legen altes ab und neues wächst heran, neue Sicht. Dialoge das heißt, nicht einer bestimmt, und nicht zwei, was Drittes ungeahntes, was vorher in Abwesenheit schon präsent, kommt hinzu.
Perspektiven entstehen, wo vorher Blendschutz nur war. Nebel im Tal lichtet sich.
Ja, da bin ich schon bei der Arbeit des Gedichts. Das Dialog immer ist. Ohne zu wissen mit wem. Aber das Sprache immer ist, die was durchbricht zu Ungeahntem, noch Ungewohntem. Gedichte schreiben ist ein Prozeß des Dialogs.
Wer schreibt das Gedicht ? Der Dichter ?
Nein, es schreibt sich in ihm. Sprache wird virulent. Wenn er sich öffnet. Wenn Wahrnehmung er wird. Auch Wahrnehmung dessen, was sichtbar nicht immer zugegen.
Ein Wort sitzt es im Satz oder steht es was liegt unter ihm was über ihm bewegt es sich bleibt es still stehen gebunden oder frei
ein Wort ist ein Kreisel Spielzeug des Absurden unaufhörlich surrt es herum aber in ihm sind tausend Augen geborgen deine und meine
Die Ambiguität des Gedichts bleibt eben nicht in einer Deutung, in einer Sicht nur stecken, sondern tastet Randschärfen, neue Ebenen an.
Ich war ind er weißen Stadt frag nicht, wo sie liegt ...
in dieser Stadt das weißt du leben alle deine Geheimnisse die gelebten und die ungelebten Stunden die Institute tragen hier keine Namen die Pubertierenden sitzen hier auf den Geländern sie haben das Leben noch vor sich in dieser Stadt kommt man nicht an diese Stadt verläßt man auch nicht auch wenn man nicht weiß wo sie sich befindet es gibt keine Stadt in der sie nicht ist die weiße Stadt weißt du ich komme aus ihr der ich sie nie verlasse immer in ihr bin
all meine Geschichten kehren des morgens die Straßenfeger hinweg wenn mich einer fragt wo bist du zu Haus was soll ich ihm antworten nur in der weißen Stadt das weiß ich hier hab ich dich zu letzt getroffen hier traf ich ihn und ihn und sie wir sprachen wie wir sonst nie sprachen wir lebten wie es sonst kein Leben gibt alles ist neu und selbst das ganz alte ist hier zugegen wie für immer verwandelt nichts ist vorbestimmt und doch alles kommt an, selbst die vergessenen Schritte die abgelegten Ängste, Schatten und das erste Tasten bleibt das erste Tasten hier, wird nicht senil verwanzt ...
ich bin ein Bewohner der weißen Stadt niemanden kann ich es sagen dir kann ich es sagen ich komme aus der weißen Stadt die ich nie betrat und aus der ich doch nie herauskam unter derem Schnee ich immer lebe im Angesicht der Schlangen die die Brücke bewachen über die ich nie ging nur meine Füße wuchsen immer tiefer in den Sand
Gedichte gelingen und mißlingen. Beides gehört zu dieser Tätigkeit, die wagt, Schablonen, auch gewohnte Sprachschablonen hinter sich zu lassen, zu durchwandern, Dialoge wandern anders. Wohin ? Zu welchem Ziel ? Wie ein bekannter Schamane und Romancier sagte, auch das nichtzutreffende Wort, keine Angst davor, im Wagnis und der Freiheit des Schreibens gehört auch das dazu. Perfektionen zu scheuen, Muster, nach denen der Markt so gern leckt. Ob ein Gedicht gelingt, ein zunächst einsamer sprachlicher Dialogakt, entscheidet allein der Moment, wo es bei einem Leser Anstoß wird, anders wahrzunehmen, sich anstecken zu lassen von der ungebändigten Virulenz der Sprache. Verzaubert wird. Verwandelt wird.
Geglückte Dialoge sind Verzauberungen immer auch, Verwandlungen. In Sprache, mit Sprache, durch Sprache.
Nicht geglückte Dialoge, nicht stattgefundene Dialoge sind Versteinerungen, Engpässe, Blockaden, die auf solche Verwandlung hoffen und warten, oft ein Leben lang und nicht dabei fragen, ob vergebens oder umsonst.
Dialoge verwandeln anders. Schaffen neue Räume. Nicht allein, sondern nur in Beziehungen, in einem Gegenüber und in einem Dritten gelösten aufgelockerten freien Barrierewegräumen und -schmelzen. Jenseits von Zuweisungen, Anklagen, Schuld, Legitimationen hüpft Sprache manchmal ins Abseits, ins Nebenbei. Aus einem Belanglosen wächst manchmal dann eine geglückte spannungsfreiere Luft.
Dialoge brauchen Atem.
Unseren.
Friedrich G. Paff
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