9. November

November 9th, 2008 , 16.00 Uhr



 

Hat man noch Zorn
noch Wut noch Trauer
soll man gedenken
oder nicht
und wer bestimmt
wie denn Gedenken sei
das nur von innen
kommen kann und schlicht
und abgehoben kann es
nie sein von allem
was man sonst auch lebt
70 Jahre diese Nacht
welche Schatten wirft sie
und das Feuer frißt
noch in die Seele tief
noch unbewältigt
Widersprüche
glatte Reden glatte Steine
Gedenken heißt
Nicht zu Vergessen
und zu benamen auch
was Auseinandersetzung ist
und bleibt
noch ungeehrt in Marburg
Erich Klibansky
und ward doch vorgesehen
für heute
für diese Nacht
die niemals endet
nur im Aufbegehren
gegen alle Schatten
gegen alles was da
aussortiert …
daß niemals mehr
so frevelnd hetzt….
und mordet, schändet..



 

( …gehe zur Gedenkveranstaltung jetzt
an die Alte Synagoge )

 

 

Marburg 9. November 2008

17 Uhr Gedenkveranstaltung offen gelegt

ausgegraben Mikwa, Pfeiler

mahnende Fundamente der Synagoge

auf dem Brandplatz einst

drängen sich die Leute

du hörst den Namen Samuel Bacharach

und denkst an Nußbaum, Eichberg, Hirsch

an Seidler und an Thorion

17 Uhr Dämmerung und die Raben kamen

kreischen, fliegen am Himmel empor

zerteilen und sammeln sich wieder

wieviel sind es ? unzählig

500  ? 1000  ?  777 ?

all die Raben der Kriege

Leichen-und Totenfeldern

die auch die Asche von Hadamar noch pickten

ausgestreut an den Ufern der Lahn

eine brodelnde Masse aus Quellen hervor

scheint es zu sieden so aus einer Dichte

flogen sie auf dann wieder still

Buchstaben fast scheinen zu bilden sie

hebräisch kufische Zeichen die aber

sofort wieder zerfließen verfliegen

sie die da speisten den alten einsamen Mann

die Begleiter der Fluchtwege, Müllhalden

Totenäcker, Galgen, ausweglose Klippen

ihr Geschrei der Gesang  der die Stille zerreißt, zerfetzt

ohne jegliche Melodie nur ein krächzendes aber

aber doch, heiseres messerscharfes Kraaa

nie mehr werden sie sitzen auf dieser hohen

stolzen einstigen Kuppel der Synagoge

es ist als suchten sie diese Kuppel die Raben Elias,

um zu sammeln sich,  die da unterging in Frevel, Schändung

Feuer, Brand, in Haß, Verfolgung, Wut

die da ein- und ausgingen hier und

nie mehr kamen, kommen wieder

schwarze Schatten am Himmel  in diesem Feuer da tanzen sie

die Raben der Dämmerung und der Nacht und des Erinnerns

und dann wird da gelesen Hesekiel 37

das Feld voller Totengebeine und die Raben fliegen

darüber hinweg ein Krächzen ein Rauschen eine Stille

und die verdorrten Gebeine erfahren, daß Er - geheiligt sein Name -

es ist,  der da zu geben wieder vermag Geist, Odem und Hauch

Kraft, Atem, Körper, Haut, Leben und Fülle

und das Schma Israel ertönt in die Nacht

in die Nacht der Raben in die Nacht von 1938

in die Nacht von 2008 und du hörst die Namen Maidanek

Treblinka, Auschwitz, Dachau, Buchenwald

und du hörst was in deinem Verstehen nie ein Mensch

das Recht hat zu sagen auch wenn du es zuläßt in dir daß es

vielleicht letzte Findung, Wahrheit, Ankunft, Rettung ist

aber wie kann ein Mensch das sagen.....vernichtet zur

Heiligung Deines Namens ...dem Grauen noch einen Sinn

zu unterlegen, der  Absurdität,  der Hoffnungslosigkeit

der Banalität von Blockwartswächtern

dem grenzenlosen Morden, Wahn

könnte Elie Wiesel dies sagen ?

von dieser alten Synagoge weg

die ausgelöscht und ausgetilgt

und doch vergessen nicht

und nie Museum nur Touristik

Sightseeing oder Grabungsfund

von dieser alten Synagoge weg

zur neuen führen viele ihre Schritte

du fragst den Nachbarn

nach den Namen die hebräisch

auf dem blauen Vorhang stehen

doch er weiß es nicht

wo aus aus dem Dornbusch sich

aus Dornen kahlem Astwerk

rabengleich sich Buchstaben

entwickeln wachsen sprießen

Saat Des Der da Odem gibt

und Feuer Geist und Leben

und ein Konzert Gesang

so konzentriert vokalisch

Höhe Stille läßt abfallen

alle Eitelkeiten gibt Raum

gibt Weite Sicht auf

das was zählt

der Augenblick inmitten

des Lebens jetzt und

der Gemeinde hier die

Ankunft immer

Nichtvergessen ihrer Toten

und auf dem Rückweg dann

zum nächsten Morgen und zum nächsten Tag

zu dem was nicht bewältigt

und nicht zum anvisierten Gedenktag nur

abseits vom Leben dann

wo man Gewissen parkt, neu aufpoliert

und im Vorbeigehen dann

wo eben noch sich alles drängte

still leuchteten die Lichter

hinter dem Drahtzaun

versperrt wieder das Gelände

dunkel und brach vereinsamt

der Platz wo einst

die Kuppel hoch sich wölbte

in die Nacht des 9. November 2008

still sieben Lichter am Boden

leuchten sie in die Finsternis

das Gedenken aus Stille und Licht

eine Menorah die auffängt

all das Schweigen

auch all den Schmerz

den niemand teilt