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Marburg im Elisabethjahr

   

 

Vom Rathaus weht die Fahne Demut !

Tatsächlich und niemand empfindet das als Blasphemie oder zumindest als Kontrast zur Wirklichkeit unserer Gesellschaft, die im Elisabethjahr scheinbar keine andere Meinungen mehr zuläßt vor lauter Euphorie.

Ich hatte der OP einen Leserbrief handgeschrieben, mein Drucker kaputt, eine Sekretärin fragte telefonisch nach, die Authenzität zu überprüfen, so dachte ich,  er erscheint zu der Rede "Politik aus christlicher Sicht " unseres Ministerpräsidenten , aber heute vom Chefredakteur das Bedauern, ihn nicht abdrucken zu können, dabei ist er doch so kurz :


" Würdiger kann man Elisabeth nicht ehren als durch eine geschlossene Festveranstaltung von Macht , Politik und Kirche. Die schwarzen Limousinen auf dem neuen Pflaster glänzen die exclusive Heiligkeit. Eine Kirche, die zum Tourismus konvertiert, ist das eine offene Gemeindekirche noch ? 

 

 

 

 

 

 

E 1

 

 

Auch ich kaufe mir eine Elisabethstatue nun, bei Elwert der alten Buchhandlung, gibt es sie, handgeschnitzt aus Südtirol nach einem alten Abguß der noch älteren Figur von Juppe, die damals auch schon geschnitzt. Aber wo soll ich sie hinstellen die Elisabeth ?  Nachher fällt sie mir noch um. In meiner Unordnung. Der Hund spielt dann mit ihr. Oder der Kater kratzt an ihr. Sie ist ja so hübsch !  Mit einer Krone auf  ihrem Haupt. Mit hochkarätigem Blattgold gefasst.   Und sie hält das Modell der Kirche in ihrer Hand. Was hält sie in der anderen Hand ? Ich weiß es gar nicht mehr. Vielleicht die Tageszeitung von hier ?  Oder ein Portrait des Ministerpräsidenten ?  Vielleicht sogar den Dalai Lama, wie er lächelt ?  Das Kulturprofil eines Jahres, das schon längst vergangen ist ?  Sie ist bestimmt kulturell sehr gebildet. Vielleicht hält sie in der Hand sogar einen Roman über sich selber, voller Liebe und Adjektive. Ihre CD ?  Ihre Torte ?  Ihre Pralinen ?  Verdammt, jetzt muß ich doch noch mal den Steinweg hinaufschwitzen zu dem Gang am Aufzug, um zu sehen, was sie denn nun in der anderen Hand hält,  ehe ich mir die Figur kaufe. Es gibt sie doppelt. Nein vierfach. Groß und klein wie man sie eben haben will. Buntig farbenfroh und roh einfach  nur Holz hell. Ich erinnere mich nur, die Krone haben sie hochkarätig vergoldet und den Bettler zu ihren Füßen einfach entfernt. Wer kauft schon einen Bettler ?

 

 

 

E 2

 

 

Was immer sie in der Hand haben mag, auf jeden Fall keinen Spiegel .  Dann würde keiner sie kaufen. Man stelle sich vor, man kaufe extra eine Heilige und sehe dann sich selber nur. So wie man ist. Nein, dafür sind Heilige nicht . Nein, dafür gibt man kein Geld aus.  Die  große extra blattgoldgefaßte farbige Heilige, nein nicht schwarz, bunt ganz, tiefes Rot, sattes Blau, goldene Lilien, gibt schon was her, kostet auch … !  Obwohl im Jubiläumsjahr kostengünstig extra angepriesen.  1600 Euro ! Wenn dann Besuch kommt, das ist schon repräsentativ, fällt ins Auge stolz,  bewundernswert und signalisiert doch, daß man sozial ganz nur auf Mildtätigkeit hin gestimmt.  Sie paßt schon in diese Stadt diese Stadtheilige. Sie würde bestimmt heute im Südviertel wohnen. Sagte doch öffentlich – anzugsmäßig gut dezent gekleidet, aber gesinnungsmäßig umwälzend fortschrittlich – sagte doch einer der Germanistenprofessoren  tatsächlich, er würde im Sommer jedes Jahr in Irland Urlaub machen, um dem proletarischen Element intensiver begegnen zu können. Wohlstand und Wohltätigkeit beides zu vereinigen, das farbige luxuriöse teure Exemplar vermag das am besten.  Wenn in aller Zierde die goldene Krone in den Augen strahlend glänzt und der kupferne, bleierne Pfennig hinab sich begibt, kullert oder gnädig fällt , schwupp, hops in die noch ungewaschenen striemigen offen gehaltenen bittend flehenden Hände eines ohne oder mit Hartz IV versehenen Bettlers, Krüppels, Loosers, Schnorrers, Flegels, Versagers.

 

Dann erwacht das Mittelalter wieder. Die Marburger Tafel. Aber wer hungert, fragt nicht, wes Brot es ist. Das konnte sich nur Elisabeth leisten.

 

 

 

 

Ich habe die Rosen

zerpflückt

die Birkenbriefe hat

niemand gelesen

die Sonne Assisis

wuchs mir

unter die Haut

wo ist Gott

zu finden

in welcher Wunde

ist er zu Haus

wer wäscht

die Schatten aus

für wen

ist die Kirche

aus Dornen

die Krone

unvergoldet

strahlt sie

Zacken der Schöpfung

Splitter des Leids

im Flügelkleid der Engel

das Weiß

es sticht in die Augen

blendet

mir sind die Worte

abhanden gekommen

meine Hände

flechten in den Tag

die Nähe der Tat

stumm höre ich

in der Pilgermuschel

das Rauschen

eines fernen Meeres

Jerusalem ist

aber wo in uns

tot brachten sie

den Gemahl mir zurück

all die Schwerter

die im Namen des Kreuzes

Rosen und Leiber durchstechen

blind irrt die Liebe

die Suche nach Nähe

wie eine Glasscherbe tanzt

die Seele in mir

unantastbar eine Fremde

lächelnd gegenüber Spott und Spucke

den Weg gehen unbeirrt

im grauen Leinengewand

voller Flicken und Flecken

ausbessern alles

heiligen den Staub

 

 

 

 

Elisabeths Schatten

 

 

 

Die kupfernen Pferde

grasen am Steinweg

 

Dohlen flattern

um die Türme

 

auf den Dächern

schläft noch der Morgen

 

auf rotem Sandstein

sattelt das Kreuzfahrerheer

 

wir pflücken die Dornen

und stechen hinein

 

in die Taubheit und Ödnis

die Helle eines Morgens

 

wir pflastern die Reden einfach zu

zünden die Herzen uns an

 

brennende Wunden

auf nah und weit gespannten Flügeln

 

 

 

 

 

Elisabeth    2007

 

 

 

 

die Flügel der Engel noch spannen

einen Bogen aus dunkler Nacht

die Körper der Seraphime

längst schon verwest

aufgelöst die Farben

zerblättert in verwittertem  Kalk

 

so fliegen weiße Schatten

zu den dunklen Sternen hin

 

wir sitzen auf steinernen Bänken

und haben die Leere in der Hand

 

Gott schlägt uns auf das Buch

aus dem das Schweigen rinnt

 

in dem die Seele nicht mehr weiß

sich von der Haut zu trennen

 

wir sind die Pore nur der Docht

er zündet uns die Flamme an

 

den Himmel brennend der

in jedem Schmerz noch haust

 

in einem andern Du

wächst unser ich heran

 

das nicht mehr trennt

die Scherben von den Engeln

 

die schwarzen Wächter uns des Leids

sie haben helle Flammen

 

wie Raben auf dem Müll

so sammeln sie das Saatgut ein

 

ihr Federkleid ist schwarz voll Asche

so heben sie den Staub still himmelan

 

durch Schatten gehen wir

die Schatten sind uns Worte

 

doch was uns Flügel gibt ist jene Enge

die sich der ausgesetzten Grelle ganz verwehrt

 

 

aus unsren Wunden wachsen Hände

aus unsren Herzen Menschen die wir sehen

 

wir krönen uns mit Dornen nicht und  Distel

mit Gold nicht und smaragdem Stein

 

wir bleiben Splitter, Span und Riß

der Atem Gottes geht durch Staub hindurch

wir kitten nicht die Wunden zu

bedecken nicht mit Lüge, Glanz und Heuchelei

 

unvernarbt graben unsre Hände den Segen

aus der Ohnmacht unsre Macht

 

die helle Haut eines Insekts

 Apokalypse     der Antichrist

 

das Castell auf dem Berg

die Zitadelle des Schweigens

steinerne Festung der Stille

achteckig sarazenisch apulischer Stern

 

wir alle gehen durch das eine Tor

in fensterlose Türme

die wir selber sind

 

wir grenzen ab

was nutzt

dem Himmel offen

der uns Hölle wird

brennende Glut

wenn wir nicht schleifen

was uns trennt

 

wenn wir nicht geben

was uns selber fehlt

 

wenn wir nicht nehmen

weil Geschenk wir alle sind

 

dies ist das  Licht der Dank

tief aus der Sonne von Asissi

 

das aufhebt alle Schatten

die wir  werfen

 

wenn verkrampft wir gehen

 

das Gras es richtet wieder auf sich

taubenetzt

wenn barfuß wir beseelt

besitzlos Könige der Erde

 

wir treten nicht mehr und zertreten

wir richten auf

was ganz gekrümmt uns ist

 

 

wir schenken schwerelos

und häufen keine Kirchen, Steine an

 

Gott ist uns nicht ein Grab von Adel und von Macht

wir glätten unsren Pilgerpfad noch nicht

noch pflastern wir ihn zu

 

wir ziehen mit den Raben

von Engel zu Engel

auf Friedhöfen

die noch keiner gesehen

 

unsre Herzen fühlen

und leuchten nicht für Geld

 

die Glanz nur suchen

sie suchen das Heilige

und finden sich selber nicht mehr

 

das Heilige ist wie der Atem ständig

unaufdringlich hier

 

das Grau der Kutte die die Kranken wäscht

 

der Schmerz in der Hand der keine Hilfe versagte

 

das Ohr das sich verweigerte nicht

 

die Seele die einfach blieb offen

 

das  Auge das sich nicht blendete

 

der Mund der widersprach

 

das Heilige ist wie ein heller Staub

 

der sich auf alle Dinge legt

 

alle Schwerter entwaffnet

 

Gift den Gedanken entzieht

 

das  Heilige ist

 

wo alles Geschenk  wird Gespräch

 

ganz hier

 

 

durch diese Tür

 

treten die Engel

 

schenken die Liebenden

 

sich Körper und Seele zugleich

 

atmet der Wein und die Rosen

 

bricht sich das Brot

 

 

springt aus den Felsen die Quelle

 

aus der Verstummung das rettende Wort

 

 

öffnet Zwang sich gelöst

 

 

du bist der Schritt

 

der Anfang eines Wegs

 

 

als alles weglos war

 

tot mein Gemahl

 

 

nahm ich das Kreuz

 

er lebt so fort

 

 

und wasch ich einen Kranken oder Toten

 

ihn wasch ich mit

 

 

nicht wo ich Fürstin, Name, Titel, Thron

 

Dame, Vorbild,  Heilige, Legende

 

 

wo schwach ich war ganz oft allein

 

war ich der Atem zu mir selber

 

 

zähes Ringen   starr mitunter

 

war ich  das Wagnis,  Kraft , mir  neue  Sicht

 

 

sie leckten, speichelten und spuckten

 

krönten mich, bewarfen mich mit Dreck

 

 

doch unsichtbar die Krone die ich trug

 

war  Freiheit  Zartheit  Helle

 

die der Engel ganz mir spannte schenkte

 

 

war Haut und Seele  Atem

 

Gott in eins

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Bordellherz

funkelt

über der Stadt

anklickbar

 

der alte Weißdornbaum

wurde gefällt

 

künstlich

wird das Heilige

erzeugt

 

die Raben tragen

das kalte Herz

auf die Dächer

 

der Protestantismus

zertritt sich

auf indischem Pflaster

 

 

*

 

 

Sie wäscht die Wunden aus

die man nicht sieht

die Psychopharmaka

 

gekrönte

zähe Hornissin

 

bleiche Diakonissin

 

Assisi im Herzen

den toten Gemahl

 

das Heilige fließt

aus den Steinen nicht

 

die Macht rollt

wie eine tote Kugel

 

kalt nur auf Stahl

 

aus Händen die helfen

 

wachsen

Rosen

 
 
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 
 

 

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Gelesen mit Erfolg in Linz, Österreich

veröffentlicht am Rhein

in

Hansenblatt Nr. 47- Juli 1994

 
 

 

 

 

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im Jonas Verlag 1990