800 |
Marburg im Elisabethjahr |
|
Vom Rathaus weht die Fahne Demut !
|
||
E 1
Auch ich kaufe mir eine Elisabethstatue nun, bei Elwert der alten Buchhandlung, gibt es sie, handgeschnitzt aus Südtirol nach einem alten Abguß der noch älteren Figur von Juppe, die damals auch schon geschnitzt. Aber wo soll ich sie hinstellen die Elisabeth ? Nachher fällt sie mir noch um. In meiner Unordnung. Der Hund spielt dann mit ihr. Oder der Kater kratzt an ihr. Sie ist ja so hübsch ! Mit einer Krone auf ihrem Haupt. Mit hochkarätigem Blattgold gefasst. Und sie hält das Modell der Kirche in ihrer Hand. Was hält sie in der anderen Hand ? Ich weiß es gar nicht mehr. Vielleicht die Tageszeitung von hier ? Oder ein Portrait des Ministerpräsidenten ? Vielleicht sogar den Dalai Lama, wie er lächelt ? Das Kulturprofil eines Jahres, das schon längst vergangen ist ? Sie ist bestimmt kulturell sehr gebildet. Vielleicht hält sie in der Hand sogar einen Roman über sich selber, voller Liebe und Adjektive. Ihre CD ? Ihre Torte ? Ihre Pralinen ? Verdammt, jetzt muß ich doch noch mal den Steinweg hinaufschwitzen zu dem Gang am Aufzug, um zu sehen, was sie denn nun in der anderen Hand hält, ehe ich mir die Figur kaufe. Es gibt sie doppelt. Nein vierfach. Groß und klein wie man sie eben haben will. Buntig farbenfroh und roh einfach nur Holz hell. Ich erinnere mich nur, die Krone haben sie hochkarätig vergoldet und den Bettler zu ihren Füßen einfach entfernt. Wer kauft schon einen Bettler ?
|
||
E 2
Was immer sie in der Hand haben mag, auf jeden Fall keinen Spiegel . Dann würde keiner sie kaufen. Man stelle sich vor, man kaufe extra eine Heilige und sehe dann sich selber nur. So wie man ist. Nein, dafür sind Heilige nicht . Nein, dafür gibt man kein Geld aus. Die große extra blattgoldgefaßte farbige Heilige, nein nicht schwarz, bunt ganz, tiefes Rot, sattes Blau, goldene Lilien, gibt schon was her, kostet auch … ! Obwohl im Jubiläumsjahr kostengünstig extra angepriesen. 1600 Euro ! Wenn dann Besuch kommt, das ist schon repräsentativ, fällt ins Auge stolz, bewundernswert und signalisiert doch, daß man sozial ganz nur auf Mildtätigkeit hin gestimmt. Sie paßt schon in diese Stadt diese Stadtheilige. Sie würde bestimmt heute im Südviertel wohnen. Sagte doch öffentlich – anzugsmäßig gut dezent gekleidet, aber gesinnungsmäßig umwälzend fortschrittlich – sagte doch einer der Germanistenprofessoren tatsächlich, er würde im Sommer jedes Jahr in Irland Urlaub machen, um dem proletarischen Element intensiver begegnen zu können. Wohlstand und Wohltätigkeit beides zu vereinigen, das farbige luxuriöse teure Exemplar vermag das am besten. Wenn in aller Zierde die goldene Krone in den Augen strahlend glänzt und der kupferne, bleierne Pfennig hinab sich begibt, kullert oder gnädig fällt , schwupp, hops in die noch ungewaschenen striemigen offen gehaltenen bittend flehenden Hände eines ohne oder mit Hartz IV versehenen Bettlers, Krüppels, Loosers, Schnorrers, Flegels, Versagers.
Dann erwacht das Mittelalter wieder. Die Marburger Tafel. Aber wer hungert, fragt nicht, wes Brot es ist. Das konnte sich nur Elisabeth leisten.
|
||
Ich habe die Rosen zerpflückt die Birkenbriefe hat niemand gelesen die Sonne Assisis wuchs mir unter die Haut wo ist Gott zu finden in welcher Wunde ist er zu Haus wer wäscht die Schatten aus für wen ist die Kirche aus Dornen die Krone unvergoldet strahlt sie Zacken der Schöpfung Splitter des Leids im Flügelkleid der Engel das Weiß es sticht in die Augen blendet mir sind die Worte abhanden gekommen meine Hände flechten in den Tag die Nähe der Tat stumm höre ich in der Pilgermuschel das Rauschen eines fernen Meeres Jerusalem ist aber wo in uns tot brachten sie den Gemahl mir zurück all die Schwerter die im Namen des Kreuzes Rosen und Leiber durchstechen blind irrt die Liebe die Suche nach Nähe wie eine Glasscherbe tanzt die Seele in mir unantastbar eine Fremde lächelnd gegenüber Spott und Spucke den Weg gehen unbeirrt im grauen Leinengewand voller Flicken und Flecken ausbessern alles heiligen den Staub
|
||
Elisabeths Schatten
Die kupfernen Pferde grasen am Steinweg
Dohlen flattern um die Türme
auf den Dächern schläft noch der Morgen
auf rotem Sandstein sattelt das Kreuzfahrerheer
wir pflücken die Dornen und stechen hinein
in die Taubheit und Ödnis die Helle eines Morgens
wir pflastern die Reden einfach zu zünden die Herzen uns an
brennende Wunden auf nah und weit gespannten Flügeln
|
||
Elisabeth 2007
die Flügel der Engel noch spannen einen Bogen aus dunkler Nacht die Körper der Seraphime längst schon verwest aufgelöst die Farben zerblättert in verwittertem Kalk
so fliegen weiße Schatten zu den dunklen Sternen hin
wir sitzen auf steinernen Bänken und haben die Leere in der Hand
Gott schlägt uns auf das Buch aus dem das Schweigen rinnt
in dem die Seele nicht mehr weiß sich von der Haut zu trennen
wir sind die Pore nur der Docht er zündet uns die Flamme an
den Himmel brennend der in jedem Schmerz noch haust
in einem andern Du wächst unser ich heran
das nicht mehr trennt die Scherben von den Engeln
die schwarzen Wächter uns des Leids sie haben helle Flammen
wie Raben auf dem Müll so sammeln sie das Saatgut ein
ihr Federkleid ist schwarz voll Asche so heben sie den Staub still himmelan
durch Schatten gehen wir die Schatten sind uns Worte
doch was uns Flügel gibt ist jene Enge die sich der ausgesetzten Grelle ganz verwehrt
aus unsren Wunden wachsen Hände aus unsren Herzen Menschen die wir sehen
wir krönen uns mit Dornen nicht und Distel mit Gold nicht und smaragdem Stein
wir bleiben Splitter, Span und Riß der Atem Gottes geht durch Staub hindurch wir kitten nicht die Wunden zu bedecken nicht mit Lüge, Glanz und Heuchelei
unvernarbt graben unsre Hände den Segen aus der Ohnmacht unsre Macht
die helle Haut eines Insekts Apokalypse der Antichrist
das Castell auf dem Berg die Zitadelle des Schweigens steinerne Festung der Stille achteckig sarazenisch apulischer Stern
wir alle gehen durch das eine Tor in fensterlose Türme die wir selber sind
wir grenzen ab was nutzt dem Himmel offen der uns Hölle wird brennende Glut wenn wir nicht schleifen was uns trennt
wenn wir nicht geben was uns selber fehlt
wenn wir nicht nehmen weil Geschenk wir alle sind
dies ist das Licht der Dank tief aus der Sonne von Asissi
das aufhebt alle Schatten die wir werfen
wenn verkrampft wir gehen
das Gras es richtet wieder auf sich taubenetzt wenn barfuß wir beseelt besitzlos Könige der Erde
wir treten nicht mehr und zertreten wir richten auf was ganz gekrümmt uns ist
wir schenken schwerelos und häufen keine Kirchen, Steine an
Gott ist uns nicht ein Grab von Adel und von Macht wir glätten unsren Pilgerpfad noch nicht noch pflastern wir ihn zu
wir ziehen mit den Raben von Engel zu Engel auf Friedhöfen die noch keiner gesehen
unsre Herzen fühlen und leuchten nicht für Geld
die Glanz nur suchen sie suchen das Heilige und finden sich selber nicht mehr
das Heilige ist wie der Atem ständig unaufdringlich hier
das Grau der Kutte die die Kranken wäscht
der Schmerz in der Hand der keine Hilfe versagte
das Ohr das sich verweigerte nicht
die Seele die einfach blieb offen
das Auge das sich nicht blendete
der Mund der widersprach
das Heilige ist wie ein heller Staub
der sich auf alle Dinge legt
alle Schwerter entwaffnet
Gift den Gedanken entzieht
das Heilige ist
wo alles Geschenk wird Gespräch
ganz hier
durch diese Tür
treten die Engel
schenken die Liebenden
sich Körper und Seele zugleich
atmet der Wein und die Rosen
bricht sich das Brot
springt aus den Felsen die Quelle
aus der Verstummung das rettende Wort
öffnet Zwang sich gelöst
du bist der Schritt
der Anfang eines Wegs
als alles weglos war
tot mein Gemahl
nahm ich das Kreuz
er lebt so fort
und wasch ich einen Kranken oder Toten
ihn wasch ich mit
nicht wo ich Fürstin, Name, Titel, Thron
Dame, Vorbild, Heilige, Legende
wo schwach ich war ganz oft allein
war ich der Atem zu mir selber
zähes Ringen starr mitunter
war ich das Wagnis, Kraft , mir neue Sicht
sie leckten, speichelten und spuckten
krönten mich, bewarfen mich mit Dreck
doch unsichtbar die Krone die ich trug
war Freiheit Zartheit Helle
die der Engel ganz mir spannte schenkte
war Haut und Seele Atem
Gott in eins
|
||
Das Bordellherz funkelt über der Stadt anklickbar
der alte Weißdornbaum wurde gefällt
künstlich wird das Heilige erzeugt
die Raben tragen das kalte Herz auf die Dächer
der Protestantismus zertritt sich auf indischem Pflaster
*
Sie wäscht die Wunden aus die man nicht sieht die Psychopharmaka
gekrönte zähe Hornissin
bleiche Diakonissin
Assisi im Herzen den toten Gemahl
das Heilige fließt aus den Steinen nicht
die Macht rollt wie eine tote Kugel
kalt nur auf Stahl
aus Händen die helfen
wachsen Rosen |
||
|
||
|
||
|
||
|
||
|
||
|
||
|
||
|
||
|
||
im Buchhandel oder bei http://www.biblion.de/region.html oder http://www.amazon.de/gp/product/3932331273/028-0466060-2354123?v=glance&n=299956 Einladungen zu Lesung/Vortrag/Seminar : FGPAFF@gmx.de
|
||
...
|
||
|
||
|
||
![]() |
||
...
|
||
|
||
|
||
|
||
|
||
|
||
|
||
Gelesen mit Erfolg in Linz, Österreich veröffentlicht am Rhein in Hansenblatt Nr. 47- Juli 1994 |
||
...
|
||
im Jonas Verlag 1990
|
||
|